Max Moor zum „stillen Karneval“

Max Moor, Schluss mit Moor: Stiller Karneval, ttt, 15.11.2020

Das Beste an ttt sind die humorvoll-bissigen Kommentare von Moderator Max Moor in der Rubrik Schluss mit Moor. Diesmal ging ’s dem dem Corona-Lockdown zum Opfer gefallenen Karneval an den Kragen:

„Die Karnevalsaison hat begonnen, meine Damen und Herren, und sie hat begonnen mit einer, ich sag ‘s mal positiv, Neuerung. Corona bedingt soll es dieses Jahr ein stiller Karneval werden. Und bei dem Wort stiller Karneval hab‘ ich hellau gerufen, ganz leise, versteht sich.

Stiller Karneval, das ist so ziemlich das Härteste, das Abgefahrenste seit Erfindung des Karnevals. Was soll das bitte sein? Ein Mann mit sich allein mit Clownsnase und Papierhütchen vor dem Rasierspiegel? Ein Funkenmariechen im Lotussitz meditierend? Ein Karneval der Einkehr, der Besinnung im Karnevalkloster?

Stiller Karneval. Ich will ja keinem zu nahe treten, aber ist es nicht so: viele werden sich das öfter mal gewünscht haben, für viele war das, ich bin immer noch beim Positiven, eine Utopie. Ja, der Karneval der Zukunft, haben sie geträumt, wird ein stiller Karneval sein. Und trotzdem werden sich jetzt die wenigstens darüber freuen, am aller wenigsten die Solo-Karnevalisten, die verkleidet vor der Laptop-Kamera sitzen und Wolle mer se reinlasse? flüstern.

Karneval gilt als fünfte Jahreszeit. Ich sag ‘s wieder positiv, die anderen vier waren ja auch nicht so toll.“

Doch ganz so widersinnig wie stiller Karneval sich am Rhein auch zunächst anfühlen mag…, ist der von oben verordnete Stimmungsentzug, das Einfrieren rheinischer Frohnatur nicht.

Zum Trost aller Jecken sei gesagt: Der „Schrecken der Vernichtung“ (104) und das Verstummen (105) sind befristet, nur vorübergehend!! — Sie sind zudem, vergesst das nicht, auch eine Seite der Nacht. (104) Auch die Totenwelt und die silentes, die Stummen, gehören ja „zum Reiche des Dionysos“. (106) —

Eine Saison, was ist das schon, wenn das Jahr darauf, in der Session 2021/22, wieder, um so lauter dann, der „Rausch des Lebens“ (97) gefeiert und in manischer Verzückung gelärmt werden darf!!

Kölle Alaaf!!

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Zitate aus Walter F. Otto, Dionysos, Frankfurt a.M., 72011