(Strafverfolgung im Fall „Jan Böhmermann“: Statement von Angela Merkel am 15.04.2016, phoenix online, 15.4.2016)
(Marcel Joppa, Glückwunsch, Herr Böhmermann! – Wie Satire Merkel mundtot macht, SPUTNIK online, 17.4.2016)
(Thomas Walde, Berlin direkt, 17.4.2016)
(Nikos Kazantzakis, Die letzte Versuchung, Deutsch von Werner Kerbs, rororo5464)
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Die Begründung:
„Ich möchte dazu gerne näher Stellung nehmen. Die Türkei ist ein Land, mit dem Deutschland eng und freundschaftlich verbunden ist: Über die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln hier im Land, über enge wirtschaftliche Verflechtungen und unsere gemeinsame Verantwortung als Aliierte in der Nordatlantischen Allianz. Die Türkei führt Verhandlungen für einen Beitritt zur Europäischen Union. In dieser engen Partnerschaft sind gegenseitige, auch völkerrechtlich geschuldete Achtung ebenso wie der offene Austausch zu den Entwicklungen des Rechtsstaats, der Unabhängigkeit der Gerichte und des Meinungspluralismus von besonderer Bedeutung. Umso mehr erfüllen uns die Lage der Medien in der Türkei und das Schicksal einzelner Journalisten mit großer Sorge wie auch Einschränkungen des Demonstrationsrechts. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft auf allen Ebenen die Postulate von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Pluralismus gegenüber der Türkei anmahnen. Wir treten dafür ein, dass bei unseren Partnern und Verbündeten die Freiheit der Meinung und die Unabhängigkeit der Justiz in gleichem Umfang gewährleistet sein müssen wie in Europa und anderen Ländern der demokratischen Welt. Wir setzen uns gegenüber anderen Staaten dafür ein, die Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit zu achten. Wir fordern ihre Achtung und ihren Schutz auch von der Türkei ein. Wir fordern das, weil wir von der Stärke des Rechtsstaats überzeugt sind. Im Rechtsstaat sind Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit elementar. Sie sind elementar für Pluralismus und Demokratie. Im Rechtsstaat ist die Justiz unabhängig. In ihm ist garantiert, dass die Verfahrensrechte des Betroffenen gewahrt werden. In ihm gilt die Unschuldsvermutung. Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. In ihm bedeutet die Erteilung einer Ermächtigung zur Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit, sondern lediglich, dass die rechtliche Prüfung der unabhängigen Justiz überantwortet wird und nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und Gerichte das letzte Wort haben werden. Genau in diesem und in keinem anderen Verständnis und genau in diesem und in keinem anderen Gesamtrahmen wird die Bundesregierung im vorliegenden, konkreten Fall hinsichtlich des Moderators Jan Böhmermann die von mir eingangs vorgetragene Ermächtigung erteilen. Darüber hinaus möchte ich Ihnen mitteilen, dass unabhängig von diesem konkreten Verfahren die Bundesregierung der Auffassung ist, dass Paragraph 103 Strafgesetzbuch als Strafnorm zum Schutz der persönlichen Ehre für die Zukunft entbehrlich ist. Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf zu seiner Aufhebung vorlegen. Der Gesetzentwurf soll noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden und 2018 in Kraft treten. Vielen Dank.“
Eine recht merkwürdige Begründung.
- Der Name des Antragstellers (Erdoğan) wird nicht genannt, verschwiegen. Der Name des zu Sanktionierenden aber ist genannt. Er wird vorgeführt, an den Pranger gestellt: Böser, böser Böhmermann!! – Das erinnert an das Verfahren gegen Jesus. Der feiste Kaiphas – von Kazantzakis als „dlck, gedunsen“ geschildert (362) – verlangt von Pontius Pilatus Jesus‘ Kreuzigung. Und der Römer antwortet:
„»Wenn er eure Religion kränkt, bestraft ihn. Ich wasche meine Hände. [Denn] Rom rührt er nicht an.«“ (361)
So sieht Merkel das wohl auch… Sie gibt das Unschuldslamm. Sie ist ja auch nicht angegriffen. Ich kann nix dafür!! Lasst mich in Ruh‘!! Ausbaden sollen’s die andern. Wie’s ausgeht, kann, könnte ihr letztlich wurscht sein…
- … ist es ihr aber nicht. Sagte sie ihrem Schatziputzi, der beleidigten Oberwurst aus Hinteranatolien doch schon, dass der böse böse Böhmermann sich „bewusst verletzend“ verhalten habe. Na, wenn das keine, wenn auch nur politische Vorverurteilung ist…
- Statt Erdoğan wird die Türkei als Beleidigte angesprochen. Und sie ist nicht irgendwer: Sondern wichtig! Mit ihr will frau es sich nicht vergraulen. Als Gründe genannt werden: erst Freundschaft, dann Migranten (potenzielle Wähler) dann Wirtschaft, dann Nato, dann EU (dann Flüchtlingskrise. Letzteres natürlich verschwiegen). Diesem Partner ist „völkerrechtlich geschuldete Achtung“ entgegenzubringen. Jawohl! Du böser, blöder Böhmermann!! Kusch gefälligst, du Hund!!
- Das „Persönlichkeitsrecht und andere Belange [gelte es] gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen“. Was diese anderen Belange sind??
„Im Moment beobachten wir, dass die Bundesregierung und die EU zu Menschenrechtsverletzungen schweigen. Sie haben offenbar nur im Blick, die Flüchtlingskrise in irgendeiner Weise zu lösen.“ (Marie Lucas, Amnesty International)
- Absurd: Lex Erdoğan als Auslaufmodell: Der Sultan ist wohl die letzte Person, die von Staats wegen eine Beleidigungsklage vor deutschen Gerichten anstrengen darf. Welch‘ Ehre!! Hosianna, dem Herrn und seiner huldvollen Herold-Mutti!!
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Thomas Walde über die Bundesregierung:
„Feige und verklemmt ist ihr Umgang mit Erdoğan, dem Präsident“
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