Populismus und Selbstbereicherung: Markenzeichen der Union

Melanie Amann und Veit Medick, Haseloff will Kanzlerkandidatur an Umfragewerte knüpfen, Spiegel online, 15.4.2021

CDU-Präsidium für Laschet als Kanzlerkandidat, Spiegel online, 12.4.2021

Josh Groeneveld, 288.000 Euro Provision: Eine interne Mail zeigt, wie ein CDU-Politiker Maskendeals mit China vermittelte, Business Insider, 6.3.2021

Anette Dowideit, Die immer länger werdende Liste der Maskenskandale, Welt online, 29.3.2021

I

Was soll laut CDU und CSU darüber entscheiden, wer zum Kanzlerkandidaten der Union gemacht wird? Die Antwort von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) offenbart, dass allein der Umfragewert entscheiden solle.

»Es geht nicht um persönliche Sympathie, Vertrauen oder Charaktereigenschaften. Es hilft nichts, wenn jemand nach allgemeiner Überzeugung absolut kanzlerfähig ist, aber dieses Amt nicht erreicht, weil die Wählerinnen und Wähler ihn nicht lassen.«

Ausdrücklich betont Haseloff, dass es nicht auf Sympathie, Vertrauen und Charakter des Kandidaten ankomme. Also: Auch der größte Despot, der größte Verbrecher, der größte Nichtsnutz ist willkommen, so er denn die Gunst des Volkes habe! Wo, bitte schön, ist da der Unterschied zur angeblich so radikal bösen, absolut populistischen AfD?

Noch schlimmer: Obwohl sich das „CDU-Präsidium […] in der K-Frage [sich bereits] hinter den Parteichef Laschet“ stellte und damit Laschet als Kanzlerkandidat – gem. §11 Abs. 4 Parteiengesetz ohne wenn und aber! – nominiert war (am 12.4.2021), ist er nur einen Tag später aus den eigenen (CDU-)Reihen, nämlich in der Fraktionssitzung (am 13.4.2021) – widerrechtlich des Parteiengesetzes – zum Abschuss freigegeben worden.

II

Zu diesem unwürdigen, weil rein populistischen, und gem. Parteiengesetz rechtswidrigen (!) Nominierungsgeschacher kommt noch hinzu, dass CDU- und CSU-Politiker die Corona-Krise zu eigener Profitmaximierung nutzten.

„Der CDU-Abgeordnete Nikolas Löbel hat im vergangenen Jahr Deals mit Corona-Schutzmasken an deutsche Unternehmen vermittelt und nach Informationen von Business Insider mehr als eine Viertel Million Euro an Provisionen verdient.“

Anette Dowidelt nennt zudem Georg Nüßlen (CSU), Alfred Sauter (CSU) und Mark Hauptmann (CDU). Besonders pikant: Sauter war einst Bayrischer Justizminister (1998-99). Dem Allgemeinwohl verpflichtetes Rechtsbewußtsein? Fehlanzeige!

III

Und Mutti? – schweigt und sitzt die restlichen Tage ihrer Kanzlerschaft ab. Was aus Deutschland wird, war ihr noch nie sonderlich wichtig. Mittlerweile aber ist es ihr scheißegal.

Fazit

Kurz gesagt: Die Union entlarvt sich derzeit als eine an Machterhalt und Profit ihrer Volksvertreter*innen (Motto: Pfründe sichern!) ausgerichteten, dem Allgemeinwohl aber kaum noch verpflichtete Partei. Folge: Die Politikverdrossenheit wird weiter zunehmen; und das Zutrauen in die Demokratie wird weiter bröckeln.

Herzlichen Dank auch!

Corona: Notstand-Politik-Verarsche

Andrea Maurer, Corona-Maßnahmen im Streit der Wissenschaft, heute-journal, 19.2.2021

Alexander Weinlein, »Panikmache«, in: Das Parlament, 15.2.2021

Peter Römer, Die einfachen Notstandsgesetze, in: Kritik der Notstandsgesetze, hrsg. v. Dieter Sterzel, Frankfurt am Main 1968, 187-207

Es war einmal in Zeiten, als die Studenten noch aufmuckten, dass die Regierung vergeblich versuchte, die Demokratie durch Notstandsgesetze auszuhebeln. Es war einmal, 1968, dass Kritiker Peter Römer schrieb:

Die Sicherstellungsgesetze sind Ermächtigungsgesetze. Sie enthalten keine Bestimmungen, die unmittelbar anwendbar und vollziehbar sind. Sie ermächtigen vielmehr die Bundesregierung und gegebenenfalls einzelne Bundesminister zur umfassenden wirtschaftlichen Lenkungsmaßnahmen“. (188; im Original kein Fettdruck)

Heute, in den Zeiten der Pandemie muckt höchstens noch die böse, böse AfD auf. Doch die ist ja in den Augen aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien (Neo-)NaziPartei und folglich nicht ernst zu nehmen und tot zu schweigen — oder wenn das nicht geht: zu diffamieren. Und so findet es denn auch Gutmensch Alexander Weinlein reine „»Panikmache«“ der AfD, dass in dem vom Bundesinnenministerium im März 2020 in Auftrag gegebenen Papier Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen ein

„Worst Case“-Szenario einer ungehemmten Durchseuchung der Bevölkerung mit bis zu einer Million Toten [suggeriert wird]. Um dies zu verhindern, müssten der Bevölkerung die Konsequenzen dieses schlimmsten Falles deutlich vor Augen geführt werden. Auch, um die „die Akzeptanz und Sinnhaftigkeit von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen“ zu erhöhen, heißt es ganz offen.“ (im Original kein Fettdruck)

Wer macht hier Panik? Die Wissenschaftler als zu Regierungsberatern bestellte Lobbyisten, Verräter des Wissenschaftsethos, die z.B. das Worst Case-Szenario bewusst an die Wand malen (helfen)? Oder die, die solche Machenschaften geißeln?

Immerhin: Andrea Maurer durfte es im heute-journal (vom 19.2.2021) wagen, die AfD-Kritik aufzugreifen und das Vorgehen der Regierung kritisch zu hinterfragen:

„Welcher Wissenschaftler, welche Wissenschaftlerin findet Gehör? Die Antwort ist in der Jahrhundertkrise Pandemie auch politisch. Die Kanzlerin [Mutti im Vorruhestand] hat sich für eine Schule entschieden, wie sie selbst erklärt:

„Die eine Schule sagt, wir müssen alles dafür tun, dass wir die Zahl der Infizierten so klein halten, dass wir das nachverfolgen können und dass uns das Virus nicht aus der Kontrolle gerät und

die andere sagt, schützt doch mal die vulnerablen Gruppen und dann können die anderen ihr Leben so weiterführen, wie sie‘s immer schon geführt haben. [!!!]

Und diese zweite Variante ist für mich nicht die Variante.“

Tatsache ist, die zweite Schule wird im Kanzleramt weniger gehört. Auch bei der Beratung der Bund-Länder-Runde, zu denen das Kanzleramt einlädt, ist sie kaum vertreten. Von einseitiger Beratung ist die Rede. Der Chef der Runde [Michel Müller, Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz] widerspricht:

„Derjenige, der einlädt, sieht natürlich auch, dass er Beratung hat, die noch mal die eigene Position reflektiert, gegebenenfalls aber auch unterstützt. Nur wir lassen uns ja nicht aus einer Richtung und in einer Situation beraten. Also die Beratungsrunden nach dem Kanzleramt haben dann oft eine Folgewirkung ja auch in den jeweiligen Landesregierungen.“

Der Virologe Klaus Stöhr war lange Forschungskoordinator bei der WHO. Aktuell gehört er zu denen, die als Maßnahmenkritiker gelten. Stöhr beklagt Lagerbildung und fordert ein unabhängiges nationales Expertengremium:

„Es ist natürlich schwierig für uns als Wissenschaftler, die wir den wissenschaftlichen Diskurs lieben und suchen, auch in gewissen Lagern nicht nur eingeteilt zu werden, sondern auch zu bleiben.“

Es geht um Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit. Expertise auf Bestellung, diesen Eindruck erweckt ein sogenanntes Geheimpapier [mit Titel: Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen], das das Innenministeriumletzten April bei Wissenschaftlern in Auftrag gab. Von „gewünschte[r] Schockwirkung“ ist im Papier die Rede. [!!] Ein Anwalt hat jetzt die Herausgabe der dazugehörigen Korrespondenz beim RKI [Robert-Koch-Institut] erstritten. 200 Seiten Mail-Verkehr [!] zum Großteil geschwärzt. [!] Der Innenausschuss des Bundestagesbeschäftigt sich mit dem Fall.“

Was es da wohl zu schwärzen gab??

Was bei der Untersuchung wohl herauskommen wird??

 

Can Dündar übernimmt Erdoğans Putsch-Erzählung

Can Dündar, Kampf auf der Bosporus-Brücke, ZDF, 22.1.2021

Ein Zitat Erdogans von 1998 ist heute aktueller denn je, Focus online, 25.6.2017

Wie schön.

Erdoğans Propaganda hat gesiegt.

Nun also ist das dilettantisch vorgetragene Schein-Pütschchen vom 15. Juli 2016 endlich auch in Deutschland vom Staatsfernsehen offiziell zum echten Putschversuch der Gülen-Bewegung erklärt.

Hurra! Can Dündar sei Dank.

Wir gratulieren! Çok teşekkür ederiz!

Warum der Putsch höchst wahrscheinlich ein Schein-Putsch war, muss nicht wiederholt werden. Die Indizien sind hinlänglich bekannt. Es genügt hier allein der verräterische Hinweis aus dem Film:

„Alles beginnt mit einer Handvoll Soldaten.“

Eine Handvoll Soldaten

als zu allem entschlossene Putschisten:

Toll!! Das macht Eindruck

und lehrt die putscherprobten türkischen Militärs wahrlich das Fürchten!!

Wer auch nur halbwegs Ahnung von der Politik der Türkei ab den 60er Jahren hat —

wozu auch zählt, dass man/frau

  • sich mit den geglückten Putschs zuvor befasste,
  • die Lage vor Ort in langzeitigen Aufenthalten selbst erlebte und
  • Türkisch kann, um die Stimmung und die diversen Quellen überhaupt selbständig und unabhängig recherchieren zu können!! —,

der hatte an der AKP-Version schon am Putschtag Zweifel…

Bemerkenswert an Dündars Beitrag sind daher nicht die gezeigten (!) Vorgänge auf der (einen) Bosporus-Brücke. Die sind ohnehin dokumentiert und (zumindest in der Türkei) wohl bekannt.

Auch die Behauptung, es handle sich in der vorgelegten Rekonstruktion des Putschablaufs um

„exklusive Recherchen“

ist dreist gelogen. Das Material ist bekannt.

Bei den Vorgängen auf der Brücke handelt sich um Aufzeichnungen von Überwachungskameras. Dass die Brücke Tag und Nacht unter Dauerbeobachtung steht, weiß jeder (Türke).

Das ließe sich für Inszenierungen doch herrlichst nutzen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Und die AKP ist hervorragend in der Propaganda!

Fazit: Der Film ist in seiner politischen Botschaft nur Verarsche für des Denkens Unwillige. Nichts besonderes also.

Bemerkenswert allein — weil herrlich entlarvend — aber sind die dümmlich-kläglichen Kommentare des damaligen deutschen Botschafters Martin Erdmann:

„Das war für uns alle ein Ereignis, das in unseren kühnsten Träumen, Albträumen nicht hätte stattfinden können.“

und des damaligen Spiegel-Türkei-Korrespondenten Maximilian Popp:

„Wenn man verstehen will, was in dieser Nacht in der Türkei vor sich ging, dann muss man auf diese Brücke schauen.“

Naiver geht’s nicht!

Die Vorgänge auf der einen Brücke waren für Sieg oder Niederlage des Putschs völlig irrelevant!! (Auf der zweiten Brücke fand Putsch überhaupt nicht statt.) Außerdem: Ein paar wenige Soldaten — noch dazu die Unerfahrensten der Unerfahrenen, die Dümmsten der Dummen: zum Schlachten auserkorene Opferlämmer — Die gegen den Mob der Straße. Klar, wie das ausgeht!!

Die sofort einsetzende Handy-Foto-Video-Flut der Gegenbewegung — ausgelöst durch Erdoğans eigene Handybotschaft als Initial — lieferte denn auch früh schon die heldenhafte Staffage für die nachfolgende Erzählung: Den triumphalen Sieg der (guten) von den Moscheen aus (!!) zum Märtyrertod aufgeputschten AKP-Huldiger gegen die (böse) Gülenisten-Minderheit, die der AKP den demokratisch errungenen Sieg stehlen will…

Alles höchst durchsichtig.

Zur Erinnerung: Schon 1998 legte der kommende Sultan die Strategie fest:

„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.“

Und auch wie er die Macht zu übernehmen gedenke, sprach er in aller Öffentlichkeit aus:

„Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten“.

Besonderes Augenmerk galt und gilt dabei dem (weil am leichtesten formbaren) Nachwuchs: Ne güzel şehit olmak! (Wie schön, Märtyrer zu werden!) wird jedem Schulbuben bereits eingebläut.

Bestens vorbereitet kam so der Tag des inszenierten Pütschchens, der Tag des Geschenks, um die sukzessiv aufgebaute Volksarmee der Gläubigen wachzuküssen, die Ernte einzufahren und den totalen Sieg für Allah und seinen Sultan endlich zu verkünden.

Allāhu akbar!

Und was die Gewaltorgie anbelangt:

auch die kam alles andere als unvorhersehbar. Türkische Medien und ihre Konsumenten lieben drastische Bildsprache; je blutiger, desto stimulierender. Voll Genuss werden Leichen mehrmals in Nahaufnahme herangezoomt und (mindestens dreimal hintereinander) in Miniserie gezeigt und das mehrmals pro Stunde, auf allen Kanälen, aus diversen Perspektiven, um ja kein Detail auszulassen. Türken leben mit und in dieser Bilderflut. Die Texte sind darauf abgestimmte Aufputsch-Begleitmusik. Die Botschaften sind wenig differenziert und ebenfalls extrem blutrünstig. — Beispiel aus der Presse: Blut kann nur mit Blut reingewaschen werden. — Beispiel aus einer AKP-Veranstaltung: Sie werden im Blut schwimmen… — Dies ist Alltag. Auch der heldenhafte Kampf gegen die PKK — jeder Kurde: ein PKK-Aktivist, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist — ist jedem Türken Herzensangelegenheit. Foltervideos der (Para-)Militärs kursieren im Netz und werden stolz verbreitet und gelikt. Wer will, kann auch beim Köpfen zusehen. Die Mehrheit der türkischen Familien kennt Folter ohnehin aus eigener Erfahrung. In der Putschzeit 1980 wurden Hunderttausende inhaftiert und viele davon gefoltert. Mehr als hundert sind — von staatlichen Stellen bestätigt — während der Folter gestorben. Jeder Türke kennt zudem mehrere („erfolgreiche“) Mordanschläge aus seinem persönlichen Umfeld. Selbstjustiz ist Alltag: in Stadt und Land. Jeden Tag werden im Schnitt drei Frauen ermordet. Bei allen Morden geht es häufig um die Ehre. Sein Gesicht vor den andern wahren, ist oberstes Gebot. Selbst Blutrache über Generationen ist nicht ungewöhnlich. Kaum eine Hochzeit auf dem Land — und in den zunehmend verdörflichenden Städten — ohne Freudenschüsse (und dadurch Verletzte).

— Parallelen zum Leben im IS sind selbstredend rein zufällig…

Von der Gewalt überrascht sein konnten also nur Ahnungslose, Weltfremde, Sesselfurzer.

Erdmann und Popp: Was seid ihr doch für armselige Expertchen,

nur tauglich fürs Deppenfernsehen.

 

 

 

 

W. Lübcke, Märtyrer von Nazi-Gnaden

Verena Glanos und Joana Voss, Urteil im Mordfall Lübcke, Kulturzeit, 28.1.2021

Ade, Walter Lübcke

Verena Glanos und Joana Voss beginnen ihren Kulturzeit-Beitrag mit der Einblendung eines Zitats des Ermordeten:

„Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten.“ (im Original sogar in Großbuchstaben)

Im Anschluss daran behaupten sie:

Walter Lübcke zahlte sein Eintreten für Werte mit dem Leben.“

Was auffällt, ist die mangelnde Reflexionsbereitschaft: sowohl auf Seite des Ermordeten als auch auf Seite der ihn Glorifizierenden. Beiden Seiten sei gesagt: Für Werte eintreten ist kein Ausweis von Gut-heit (oder Bös-heit). Auch der Mörder hat Werte; und auch er möchte, dass es sich lohnt, in unserem Land zu leben

Also:

kommt es darauf an, die Werte, für die man/frau (jeweils) eintritt, a) zu bestimmen und b) zu begründen, und zwar — nach demokratischer Gepflogenheit — in einem (nach Möglichkeit herrschaftsfreien) Diskurs. Denn was die wahren Werte sind, steht nicht a priori fest und kann — nach Kant — durch reine spekulative Vernunft gar nicht a priori entschieden werden. — Wertsetzung ist, wenn sie überhaupt in der Macht der (reinen praktischen) Vernunft liegt, ein Akt der Freiheit. — Es ist also ein Diskursverfahren nötig. Doch diesen Diskurs verweigerte Lübcke und verweigern alle, die ihn zu einer Märtyrerfigur aufbauen.

— Ein Märtyrer mag (der zu Lebzeiten wenig bekannte Provinzpolitiker) Lübcke durchaus sein, aber das ist nicht die zunächst und hier entscheidende Frage.

Die Grundfrage lautet vielmehr: Welche Werte sind es, für die Lübcke eintritt?

Nun könnte man/frau wie die Autoren sagen:

„christliche Weltanschauung und flüchtlingsfreundliche Politik“.

Doch sind das überhaupt Werte? Und welche Bedeutung haben diese Werte in der deutschen Gegenwartsgesellschaft?

Dazu drei Anmerkungen:

1) Sind christliche Werte — wie immer sie konkret gefasst sein mögen — überhaupt mehrheitsfähig?

Dass das Christentum zunehmend an Bedeutung verliert — auch dank der hunderttausenden zugeströmten islamistisch sozialisierten Flüchtlinge und der Millionen türkischer und türkisch-kurdischer Einst-„Gastarbeiter“ und deren Nachkommen und Nachgezogenen — ist (völlig wertfrei betrachtet: der bloßen Anzahl nach) Fakt. Ob christliche Werte (überhaupt) noch mehrheitlich Relevanz besitzen, ist also fraglich. Fraglich ist folglich auch, ob diese Werte Politik (überhaupt noch) legitimieren, ja oktroyieren dürfen.

2) Ist flüchtlingsfreundliche Politik überhaupt ein Wert?

a) geschichtlicher Legitimierungsversuch:

Im altgriechisch-römischen Kontext — der ja gern pauschal (!) zur Werteabsicherung herhalten muss — mit Sicherheit nicht: In den griechischen Stadtstaaten waren nur Fremde, d.h. Griechen aus anderen Städten geduldet, wenn sie Steuern zahlten (!) und Barbaren, wenn überhaupt, nur als Sklaven. Im Imperium Romanum war das ähnlich. Da also die Begründung unter Verweis auf die griechisch-römische Tradition versagt, bleibt unter Bezug auf geschichtliche Legitimation nur der Rekurs aufs Christentum. Und dass christliche Herrscher des Mittelalters mit Nicht-Landsleuten, insbes. Nicht-Christen nicht gerade lieb und fürsorglich umgegangen sind, ist ebenfalls Fakt. Auch in der Moderne hat sich am Abgrenzungsgrundsatz grundsätzlich nichts geändert. Die Gründung und Selbstbehauptung der Nationalstaaten machte die Differenz zu den je anderen gar zur Voraussetzung. (Im Frei-Klein-Staat Bayern sagt man/frau gern: Mia san‘ mia.)

b) politischer Legitimierungsversuch:

Also bleibt statt geschichtlicher Legitimation nur der Blick auf die Politik der Vor- und Nach-Weltkriege-Zeit. Damit sind wir beim Lieblingsthema der Gutmenschen. Ein Guter zu sein, Gutmensch zu sein heißt für sie: aus dem Holocaust gelernt zu haben — in christlicher Diktion gesprochen confiteor: mea culpa, mea maxima culpa!! — und alles Nationale so weit möglich zu nihilieren und delegitimieren. Und so kommt es zu der bekannten Umwertung der Werte. Die Fremden und damit ihr Fremd-sein wird zum Wert an sich erhöht und erhält den Primat gegenüber dem ihm Entgegengesetzten, also dem Nicht-Fremden, dem Eigenen, das entsprechend abgewertet wird. (Wobei gar nicht darüber nachgedacht wird, was das Eigene denn überhaupt sein könnte!)

3) Wie demokratisch ist Lübckes Statement?

Das von den Autoren Glanos und Voss verkürzte Zitat Lübckes geht im Originalwortlaut wie folgt weiter:

„und wer diese Werte nicht vertritt, kann jederzeit das Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.“

Typisch Gutmensch: Statt in einen Diskurs einzutreten, verweigert Gutmensch Lübcke den Diskurs. Noch schlimmer: Er wertet alle Deutschen, die nicht seiner Ansicht sind, als unwert ab, in Deutschland zu leben. Er will nicht mit ihnen reden, er will sie nicht sehen, er will nicht mit ihnen zu tun haben. Er will, dass sie das Land verlassen. Er will die Diktatur der Gutmenschen.

Welch ein Demokrat, der da hofiert wird.

ttt warnt vor Islamisierung

Joachim Gaertner, Islamismus auf dem Bildungsweg, ttt, 17.1.2021

In seinem am 17.1.2021 in der Sendung ttt ausgestrahlten Beitrag stellt Joachim Gaertner fest:

„Es gibt einen europäischen Jihadismus. Doch wie sich die Täter radikalisieren, wie ihre Ideologie verbreitet wird, wie gezielt auch mitten in Deutschland fundamentalistische Institutionen aufgebaut werden – darüber ist in der Öffentlichkeit kaum etwas bekannt.“

Gaertner will dies ändern, also aufklären.

Um die Wege der Indoktrination aufzuzeigen, führte er Experten-Interviews, von denen zwei in seinen Video-Beitrag integriert sind.

I
Expertenmeinungen
1. Hugo Micheron, Terrorismusforscher an der Princeton University
Micheron behauptet:

„Ich habe viele Interviews mit Jihadisten im Gefängnis geführt und war sehr überrascht, dass das Wichtigste für sie Bildung und Erziehung von Kindern ist.“

„Für sie ist das die Zukunft. Sie sagen: Wir waren ein paar Dutzend in den 90er Jahren, wir sind heute 6.000 in Europa. Wenn wir in zehn Jahren 100.000 sind, werden wir siegen.“

2. Heiko Heinisch, Islamismusforscher

Ziel der Islamisten ist also die Machtübernahme durch tausendfache Nachwuchsrekrutierung/-züchtung von klein auf. Als Mittel dienen Radikalisierungszentren, deren Aufbau von unserem Dhimmi-Staat zumindest toleriert, zum Teil sogar mit Steuergeldern bewusst gefördert wird,

wie Heinisch überzeugt ist:

„Es ist nicht nur so, dass deutsche Stellen, staatliche Institutionen, Politiker, mit diesen Organisationen zusammenarbeiten“

„Einige dieser Organisationen werden auch jährlich mit Millionenbeträgen vom deutschen Staat, vom deutschen Steuerzahler gefördert.“

Gaertner geht in seinem Beitrag auf zwei dieser von der Regierung auf Länder- wie auf Bundesebene tolerierten Unterwanderungsbewegungen ein.

II

Islamistische Organisationen in der EU und auf deutschem Boden

  1. Ditib

Die Organisation, die wie keine andere bislang die deutsche Gesellschaft unterwanderte und mit Billigung der Regierung auch weiterhin unterwandern darf und soll (!), ist Ditib.

„Die größte Moschee Deutschlands, die neue Zentralmoschee in Köln, wird, so wie 900 weitere Moscheen in Deutschland, vom Verband Ditib betrieben. Ditib untersteht direkt dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan und seiner islamistischen Agenda. Sie unterläuft das deutsche Bildungssystem, denn ihre Imame werden in der Türkei ausgebildet und sind Beamte des türkischen Staates. Erdoğan selbst eröffnete die Moschee. Die deutsche Zivilgesellschaft blieb ausgeschlossen. Ditib arbeitet mit dem türkischen Geheimdienst zusammen.

In de[re]n Koranschulen lernen die Kinder etwas ganz Anderes als an öffentlichen Schulen, mussten sogar türkisch-nationalistische Kriegsszenen nachspielen. Dennoch hält die Bundesregierung an einer Zusammenarbeit mit Ditib fest.“ (im Original kein Fettdruck)

Was ist der deutsche Staat doch für ein schwächlich-jämmerliches Waschlappen-Gebilde, der einen Potentaten und Antidemokraten mit nicht-deutschem Pass nebst seiner ihm hörigen Entourage von Primitivlingen ermächtigt, auf einem diesem fremden: dem deutschen Hoheitsgebiet ungeniert türkische Politik zu treiben, und das heißt anti-demokratische, also gegen die Verfassung des deutschen Staates und der deutschen Bevölkerung gerichtete Politik!

2. Muslimbruderschaft in der EU

Eine weitere der durch deutsche Stellen genehmigten Bildungsanstalten (Plural!) ist das Europäische Institut für Humanwissenschaften in Frankfurt. Gaertner merkt hierzu an:

„Tatsächlich bauen Islamisten ein ganzes Bildungssystem auf. Von Koranschulen über Kulturvereine bis zu Universitäten. Meist unter wohlklingenden Namen wie das „Europäische Institut für Humanwissenschaften“ in Frankfurt. Nach Erkenntnissen des hessischen Verfassungsschutzes eine Kaderschmiede der international tätigen Muslimbruderschaft. Ihr Ziel ist die Errichtung eines Gottesstaates. Sie liefert den ideologischen Hintergrund für militante Islamisten, auch für den Mord an Samuel Paty.“ (im Original kein Fettdruck)

Für Heinisch steht fest, dass der Aufruf zum Mord an Paty aus der Muslimbruderschaft heraus initiiert wurde:

„Die Kampagne gegen ihn wurde nicht von Salafisten, nicht von Jihadisten initiiert. Sie wurde von Personen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft initiiert“.

„Der legalistische Islamismus startet die Kampagnen, arbeitet mit dem Wort, benennt quasi das Ziel, das es zu attackieren gilt. Und irgendein Jihadist greift dann eben zur Waffe und attackiert dieses Ziel tatsächlich gewaltsam.“

3. Muslimbruderschaft in Deutschland

Doch die Muslimbruderschaft ist nicht nur im französischsprachigen Europa, sondern auch in Deutschland aktiv. — Der sich ahnungslos stellenden Bundesregierung ist also Mittäterschaft an der Ermordung Patys vorzuwerfen! —
Besonders lehrreich: Laut Gaertner ist die Muslimbruderschaft ausgerechnet in den neuen Bundesländern aktiv, die von Merkel & Co. doch so gern — pauschal — als Neonazi-durseucht diffamiert werden:

„In den letzten Jahren waren die Muslimbrüder besonders im Osten Deutschlands, in Sachsen aktiv. Hier – wo bis vor fünf Jahren kaum Muslime gelebt haben – baute die sogenannte „Sächsische Begegnungsstätte“ gezielt Bildungszentren auf, in denen ein extremistischer Islam gelehrt wird.“

Gemäß des Spruchs Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich völlig ungeniert genießen die Islamisten in diesen Gemeinden Narrenfreiheit. Denn wo sich alles auf die Beobachtung der und den Kampf gegen die Neonazi-Szene konzentriert, können sich andere Biotope (Krebsgeschwüren gleich) wohlgemut und unbehelligt etablieren und wuchern und sich ggf. auch noch bei den Dhimmi-Gutmenschen als Opfer inszenieren:

Die Sachsen: Sind doch alle verkappte Rechte, alle Neonazi-Sympathisanten, die den friedfertigen Islam unterdrücken. Pfui Teufel!

Islamisten also sind die Profiteure der wert-indifferenten deutschen Dhimmi-Gesellschaft, die einerseits sich aus ihrem Holocaust-Trauma heraus instinktiv gegen alles, was rechts ist oder sein könnte lautstark (medienwirksam: verbal!) distanziert und andererseits vor Minderheitenansprüchen kuscht und sich wegduckt. Die Islamisten nutzen und verstärken nur den Trend. Gaertner:

„Das Ziel der Islamisten ist immer, die Gesellschaft zu spalten, autonome muslimische Communities zu schaffen.“

III

Deutschland, einig Dhimmi-Land

Gerade schon vor-polarisierte Gemeinden — sei es, dass ihnen Gespaltenheit lediglich (erst) unterstellt wird, oder dass sie tatsächlich (bereits) gespalten sind — sind also für weitere Spaltung empfänglich. In einigen unserer europäischen Nachbarstaaten ist dies in fortgeschrittenem Stadium schon zu besichtigen.

Heinisch:

„Das lässt sich in manchen Ländern – Frankreich, Belgien, Großbritannien – bereits beobachten.“

„Es gibt dann tatsächlich Parallelgesellschaften, abgeschottete Gebiete, in denen mehrheitlich Muslime leben, in denen nach islamischen Regeln gelebt wird, quasi die Scharia Gültigkeit besitzt.“

Also, Freunde, was Deutschland wahrlich und wahrhaftig braucht: das ist ein wunderschöner, anarchisch wilder Multikulti-Garten!! Ein Paradies –:

unter dem Diktat des Islamismus! Hurra!

Denen, die das nicht wollen — falls es die doch gibt —, sei ins Gedächtnis gerufen: In § 92 Strafgesetzbuch heißt es unter Abs. 3, S. 2:

„Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland [sind] solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen.“

Letzteres, siehe Beispiele in Gaertners Beitrag, ist die Agenda von Merkel & Co. Und die einzige Partei (im Bundestag), die dagegen opponiert, ist die AfD. Und folglich gilt es, die mundtot zu machen: auf dass es niemanden mehr gebe, der Merkel & Co auch nur zu attackieren wage!

 

IV

Relativierung der Kritik

Doch Gaertner ist kein Revoluzzer (höchstens ein ganz klein bisschen). Und auch den Islam findet er, ganz Dhimmi, der er ist, gar nie nicht problematisch. Und um das auch allen Zuschauern und Lesern ja einzuhämmern, kommt zum guten Schluss — wie könnte es denn anders sein — die Aussage, die in einem Gutmenschen-Beitrag in einer Gutmenschen-Sendung in einem Gutmenschen-Programm… auf keinen Fall fehlen darf. Gaertner:

„Rechte Propagandisten missbrauchen die Gewalttaten, um Stimmung gegen die Millionen hier lebender, friedliebender Muslime zu machen. Diese Spaltung ist ganz im Sinne der Islamisten. Man bekämpft sie am ehesten, indem man die fundamentalistischen Einrichtungen enttarnt, ihre Strategie offenlegt und indem man die muslimischen Deutschen darin bestärkt, einen gemäßigten Islam zu leben. Einen Islam, der die strikte Trennung von Religion und Staat bedingungslos anerkennt.“ (im Original kein Fettdruck)

Dass es einen solchen Islam nicht gibt und gar nie nicht geben kann, weil dies dem Islam grundsätzlich widerspricht, ficht Gaertner freilich nicht an.

Er will ja nur den Saul geben

und dabei höchstens ein klein bisschen wider den Stachel löcken…

(Luther; Lukas-Evangelium, 26, 14)

 

Von Schirachs grandios neues Meister-Machwerk „Feinde – Gegen die Zeit“

Ferdinand von Schirach im Gespräch mit Wolfram Eilenberger über Die Feinde des Rechts, SRF, Sternstunde Philosophie, 10.1.2021

Ferdinand von Schirach, Feinde – Gegen die Zeit, ARD, 3.1.2021

Thomas Kirn, Trauer, Wut und Verachtung sind geblieben, FAZ online, 25.9.2012

Maximilian Haase, Kölner Jubiläums-„Tatort“: Gab es in der DDR spionierende Prostituierte?, zum Tatort „Der Tod der Anderen“, Weser Kurier online, 10.1.2021

Der Tod der Anderen, Tatort (aus Köln), ARD, 10.1.2021

Katja Weise, NDR Buch des Monats Januar: „Unheimlich nah“, NDR, 12.1.2021

Johann Scheerer, Unheimlich nah, München, 2021

Sophokles, Antigone, Übersetzt von Friedrich Hölderlin, Bearbeitet von Martin Walser und Edgar Selge. Berlin, 62017

Was wurde um den Spielfilm Feinde – Gegen die Zeit in der ARD für ein Aufwand betrieben! Er wurde vorab massiv beworben und nach der Ausstrahlung vielfach besprochen und kommentiert. Ist der Film doch Produkt eines „der erfolgreichsten Schriftsteller der Gegenwart“. (Begleittext zur Sternstunde) Und alles nur, um das TV-Publikum (nochmals) darüber aufzuklären, dass der deutschen Polizei Folter anzuwenden untersagt ist und unter allen Umständen unterlassen werden müsse.

Ausgangspunkt des Films ist der mittlerweile fast zwei Jahrzehnte (!!) zurückliegende Fall der Entführung und Ermordung des elfjährigen Jakob von Metzlers im Jahr 2002. Denn es begab sich Unerhörtes:

„Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner verfiel [damals…] zur Rettung des Kindes, für dessen Überleben er noch eine winzige Chance sah, auf einen in den Polizeiannalen bisher einmaligen Vorgang: Er ordnete die Androhung von Schmerzen durch einen Untergebenen an, er ordnete Vorbereitungen zum Schmerzzufügen an, er verlangte, dies solle unter ärztlicher Aufsicht geschehen, und er ordnete Nachforschungen über die Möglichkeit eines Wahrheitsserums an.“

Ferdinand von Schirach, der damals bereits (ganz Gutmensch) Stellung bezog und klar machte, dass die Anwendung von Folter unter keinen Umständen zu rechtfertigen sei, bekam, wie er in einem Gespräch mit Wolfram Eilenberger jetzt (!!) ausführte, u.a. Post von Leuten, die seine Rechtsauffassung nicht teil(t)en:

„Dass Leute aus einem ersten Impuls heraus denken: Wie kann man nur so kalt sein? Ja, wie kann man nur ein Kind den Prinzipien des Rechtsstaats opfern? Das ist eine verständliche Reaktion. Und ich dachte mir, vielleicht muss man das noch mal anders erzählen, diese Geschichte. Und auch klar machen, was die Folge dieser bösen Tat eigentlich ist, nämlich ganz am Schluss ist es die Folge, dass alle verlieren: der Rechtsstaat verliert, aber auch der Beschuldigte kann nicht verurteilt werden.“

Is‘ ja toll! — Warum von Schirach aber erst jetzt auf diese Vorgänge von anno dazumal reagiert, dazu schweigt er stille.

Und auch was mit dem Opfer, dem entführten Kind, geschieht, blendet sein Film, der ja laut Autor eine andere Erzählung des Ausgangsfalls intendiert, aus. Was aus der entführten Zwölfjährigen im Film wird, interessiert nicht.

Ganz anders im jüngsten Tatort-Krimi:

„Der bemitleidenswerte Norbert Jütte (Roland Riebeling) wurde gekidnappt und in ein Kellerverlies gesperrt, wo er jämmerlich zu sterben drohte, was der „Tatort“ in oft harten Szenen begleitete.“ (im Original kein Fettdruck)

Und was passiert, wenn der/die Entführte frei kommt? Was passiert mit den Familienangehörigen? — Johann Scheerer, der Sohn des entführten und nach mehreren Wochen erst freigelassenen Jan Philipp Reemtsma, der gerade seinen zweiten Roman über seinen Aufarbeitungsprozess veröffentlichte, der vom NDR zum Buch des Monats Januar 2021 gekürt wurde, meint:

„Ich glaube, dass der Prozess, sich überhaupt als Opfer zu sehen, in den allermeisten Fällen erst sehr, sehr lange nach dem tatsächlichen Verbrechen überhaupt anfängt. Wie lange es dauert, bis der abgeschlossen ist, ist, glaube ich, sehr individuell verschieden.“

Für den Gutmensch-Juristen von Schirach aber zählen nicht die Ängste und Qualen der Opfer. Die sind ihm scheiß egal. Ihm geht es nur um die eindeutig juristischen Aspekte: und zwar aus seiner Sicht auf das Recht. Das im Film Dargestellte ist bloß Mittel zum Zweck: Vorlauf zur und in die Rede des (in sich selbst verliebten) Anwalts: des Gutmenschen par excellence. Und so erzählt von Schirach in seinem Film denselben (fiktiven) Fall aus lediglich zwei Perspektiven, zwei Handlungssequenzen: aus der des absolut bösen Polizisten, weil der den vermeintlichen Entführer foltert(e), und aus der des absolut guten, arrogant-selbstgerechten Rechtsanwalts des vermeintlichen Entführers. So sind die Rollen von Gut und Böse von Anfang an clare et distincte eindeutig präzisiert und zugeordnet. Die dem Fall zu Grunde liegende Beziehung Entführer:Opfer verkommt in beiden Erzählungen zur bloßen Staffage. Selbst die Beziehung Polizist:Entführer ist rein funktional ausgeleuchtet und instrumentalisiert.

(Anders als z.B. in Doğan Akhanlıs lesenswertem Roman Fasıl, in dem er, der selbst gefoltert wurde, Folter aus Sicht des Gefolterten und des Folterers in zwei separaten Erzählsträngen gegen- und miteinander bespiegelt. Im Mittelteil des Buchs, in dem sich die beiden Stränge treffen, auf den sie vorlaufen und sich begegnen, sind die Namen derer auf transparentem Papier eingeblendet, die seinerzeit von der türkischen Militärjunta unter General Kenan Evren 1980/81 zu Tode gefoltert wurden. — Bislang ist dieses Stück nacherlebbar gemachter Geschichte leider nicht ins Deutsche übersetzt.)

Die holzschnittartig vorgetragene Film-Inszenierung von Schirachs hingegen dient nur dazu, auch dem letzten Depperl von Zuschauer für alle Zeiten die Gutmensch-Sicht einzubläuen, dass Folter im Polizeieinsatz prinzipiell unstatthaft sei und gar nie, nie nicht angewandt werden dürfe. Und so kulminieren die beiden Film-Erzählungen – die des Polizisten und die des Rechtsanwalts – denn auch in der Gerichtsverhandlung. In ihr wird der Entführer durch das durch den Rechtsanwalt dominierte Gerichtsverfahren aus seiner Rolle als Täter entbunden und sukzessive zum Opfer von Polizeigewalt umgewertet und ummaskiert; und statt des Entführers wird der Polizist auf die Anklagebank gesetzt. Auf dass allen erwartungsvoll vor der Glotze Sitzenden das Licht der TV-Moral aufgehe: Der Polizist ist der Böse! Der Verbrecher ist ein armes Opfer von Polizeiwillkür – habt Mitleid, ihr Zuschauer! – und ist — so die Moral von der Geschicht‘ — entsprechend auf freien Fuß zu setzen.

Von Schirach hätte sein Belehrungsstück freilich noch anders, z.B. als griechische Tragödie aufführen können. Dann aber wäre freilich der Vorführeffekt von Gut (Anwalt) vs. Böse (Polizist) nicht mehr haltbar gewesen. Denn, wie Martin Walser und Edgar Selge über Sophokles‘ Tragödie Antigone schreiben:

„Die Tragödie ist aber umso mehr Tragödie, je weniger einer der Handelnden einfach verurteilt werden kann. Das Stück ist umso mehr unser Stück, je mehr alle gegeneinander Handelnden uns für sich einnehmen können, uns gefallen können. Und uns auch gefallen wollen. Stimme und Gegenstimme sind hier nicht so weit auseinander wie Gott und Teufel im christlichen Kasperletheater.“

Doch von Schirach bezweckt etwas anderes: Er will gar nicht, wie er behauptet, zum Nachdenken anregen. Er will sein Publikum über Gut und Böse belehren. Er ist der Wissende, der TV-Kasperl, der Gutmensch vom Dienst schlechthin. Er ist es, der seinem Publikum sagt, was es zu wissen und zu befolgen hat. Merke: der Polizist ist der Böse! Jeder Polizist ein potenzieller Folterer! (So wie es einst pauschal-verallgemeinernd hieß: Soldaten sind Mörder!) Gutmenschen ist Differenzierung verhasst. Würde die doch ihren Absolutheitsanspruch unterminieren.

Von Schirachs Film ist folglich zu lesen als nur ein Mosaiksteinchen mehr, um das Gutmensch-Bild des bösen Polizisten, hier als Folterer, wie zuvor schon als Neonazi, Schläger, Rassist, etc. im Bewusstsein der TV-Konsument*innen nachhaltig zu verankern.

Wozu bloß nur…?

Anmerkungen zum Buch „Unberechenbar“

Harald Lesch und Thomas Schwartz und unter Mitarbeit von Simon Biallowons, Unberechenbar. Das Leben ist mehr als eine Gleichung, Freiburg im Br., 2020

Ob Mutti dieses Machwerk in Auftrag gegeben hat? Diesen Aufruf zur grenzenlosen Verdummung? Zwei Stellen mögen genügen, um die (versteckte) Intention der Autoren Harald Lesch, Thomas Schwartz (und Simon Biallowons als Mitarbeiter) vorzuführen:

1 „Vorab: Sollte im Folgenden der Eindruck entstehen, wir wären Dorfromantiker, dann ist das nicht etwa irreführend, im Gegenteil, wir sind tatsächlich Dorfromantiker. Aber keine naiven.“ (127)

2 „Gesellschaftsspiele haben in der Corona-Krise geboomt. Klar, man war auf die kleinen Beziehungsräume von Familie oder WG zurückgeworfen und hatte jede Menge Spielzeit. Es war ein zeitlicher Freiraum entstanden, der gefüllt werden musste und bei dem das Gesellschaftsspiel, egal ob Skat, Trivial Pursuit oder Siedler von Catan, wieder oder sogar neu entdeckt wurde.“ (149f.)

Die nachfolgend geschilderte Episode aus dem Leben des Vorsokratikers Heraklit möge dazu dienen, Pseudoweisheit vs. Weisheit klar zu kontrastieren. Von Heraklit ist uns – nebst etlichen Fragmenten – überliefert, dass er, einer von denen, die in seiner Stadt Ephesos das Sagen hatten, einst floh, um im außerhalb der Stadt gelegenen Artemis-Tempel Asyl zu suchen. Dort saß er dann und spielte (Würfel) mit den Kindern.

Dazu 2 Kurzkommentare:

1

Vorsokratische und sokratische Philosophie entwickelten sich in den Metropolen ihrer Zeit und nicht in den Dörfern. In denen lebten nur einfältige Bauern; einfältig: weil sie ihre Zeit zum Überleben und zur Reproduktion nutzen mussten und nur dazu nutzen konnten. Grundvoraussetzung für das Denken ist Muße, σχολή (Phaidros 228a.) — Im Neugriechischen bedeutet σχολή Schule. — Muße entsteht nur aufgrund der Entlastung vom Alltag. — In der Schule sollen die Kinder vom Alltag entlastet lernen. — Dies war in den arbeitsteiligen und mit Sklaven reichlich bestückten Städten weit eher gegeben als in (abgelegenen) Dörfern. Denker – damals wie heute – sind zudem auf den Umgang mit anderen Denkern angewiesen. Insbesondere aus den Dialogen Platons mit diversen Gesprächspartnern unterschiedlichster Couleur wird dies überdeutlich.

Sokrates bezeichnet sich als φιλομαθής, als Lernfreund und führt mit der ihm typischen unterschwelligen Ironie näher aus, von wem er sich denn Belehrung erhofft:

τὰ μὲν οὖν χωρία καὶ τὰ δένδρα οὐδέν μ᾽ ἐθέλει διδάσκειν, οἱ δ᾽ ἐν τῷ ἄστει ἄνθρωποι.

weder Felder noch Bäume wollen mich lehren, aber die Menschen in der Stadt. (Phaidros 230d)

2

Spiele spielen ist etwas für Kinder. Sie dien(t)en zur Charakterdiagnostik und -bildung, zur Erziehung und Vorbereitung auf das Erwachsenenleben als Mann im bzw. für den Staat. (Auch dies ist bei Platon, u.a. in Politeia, detailliert nachzulesen.) Es kam darauf an, im politischen Leben der Stadt zu bestehen. Dazu musste man sowohl körperlich als auch geistig fit sein. Körperlich, weil kriegerische Auseinandersetzungen die Regel und nicht die Ausnahme waren; geistig, weil man die politischen Spiele der Stadt durchschauen musste, um sie zu beherrschen (und nicht von ihnen beherrscht zu werden). — Wurde man z.B. angeklagt, so musste man sich selbst verteidigen. (Schulungen hierzu offerierten die Sophisten…)

Auch wenn wir Heutige uns (eher) nicht politisch engagieren (müssen), so gilt auch für uns: uns aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien (Kant). Depperlspiele spielen hilft da nicht weiter, sondern nur (Selbst-)Bildung.

Was die drei Pseudoweisen verschweigen

Analog zur Pädagogik, Kinderführung/-leitung, entwickelt und formuliert Platon Grundsätze der ψυχ-αγωγία, der Führung/Leitung der Psyche, für Erwachsene. (Phaidros, 271c) Doch solch ein Plädoyer für Bildung fehlt in der Schrift der drei Pseudoweisen aus Deutschland. Und das ist auffällig. Denn Lesch und Schwartz sind Professoren. (Was der dritte, Simon Biallowons, macht, wird uns nicht verraten.) Sie leben (recht einträglich) davon, den (wissenschaftlichen) Nachwuchs zu belehren. Wenn Sie also das Thema Bildung geflissentlich übergehen, so muss das einen Grund haben.

Und so unterstellen wir: Sie wollen einlullen.

Ihre eigentliche Rede — Schwartz ist Theologe — lautet:

Das Leben ist nicht berechenbar, ihr Bürger*innen. Krisen wie die jetzige sind Teil des Lebens. Da müssen wir durch. Fürchtet euch nicht! Und so werdet ihr der Verzweiflung resilient widerstehen! Wir schaffen das! Wir haben so vieles geschafft. Wir schaffen das! Auch Corona schaffen wir! Vertraut auf eure Führer, ihr Bürger*innen. Euer aller Mutti wird‘s schon richten. Sie entlastet euch vom Denken. Seid dankbar, ihr Dörfler, und amüsiert euch frohgemut in der Zwischenzeit, bis es wieder aufwärts geht, mit Gesellschaftsspielen.

Pfarrerstochter Mutti und Pfarrer Schwartz wissen:

Selig die Armen im Geist, denn ihr ist das Reich der Himmel (Matthäus, 5:3)

schon auf Erden,

hurra!!

Erdoğan – Verteidiger der Glaubensfreiheit

Andrea Nüsse, Macron nimmt den Kampf mit den geistigen Brandstiftern auf, Tagesspiegel online, 27.10.2020

Erdogan nennt europäische Politiker „Kettenglieder der Nazis“, Tagesspiegel online, 26.10.2020

Gudrun Harrer, Macron und der Islam: Nichts daraus gelernt, Standard online, 26.10.2020

Susanne Güsten, Türkei beklagt deutschen „Hass“ nach Razzia, Tagesspiegel online, 24.10.2020

Hans Monath, Der blinde Fleck der Linken, Tagesspiegel online, 22.10.2020

– I –

Auf Macrons Verurteilung des Mords an Samuel Paty und seiner Ankündigung auf kompromisslose Verteidigung der Meinungsfreiheit in seinem Land: Frankreich —

schwieg das unsolidarische, kriecherische Deutschland:

„Und in Deutschland? „Herrscht weitgehende Stille“, wie der Juso-Chef und SPD-Vize [Kevin Kühnert] nun in einem Gastbeitrag im „Spiegel“ völlig zutreffend geschrieben hat.“ (Monath) —

Anders Erdoğan: Er, der sich gern als Kalif vom Bosporus inszeniert, (siehe Rückeroberung der Hagia Sophia zur Moschee) fühlte sich bemüßigt, nicht nur Macrons Haltung, sondern ihn persönlich anzugreifen:

Erdoğan „zweifelte am Montag, wie schon am Wochenende, die psychische Gesundheit des französischen Präsidenten an.“ (Tagesspiegel, 26.10.2020)

Kommentar Gudrun Harrer:

a) zum Fehlen der Vernunft in muslimischen Kreisen:

„Nun kann man nüchtern feststellen, dass sich Menschen, die nicht tiefer reflektieren können oder wollen als der sprichwörtliche Stier angesichts des roten Tuchs, eben leicht mobilisieren lassen.“

b) zur Kalif-Anwärterschaft von Erdoğan:

Erdoğan „kann in der islamischen Welt zeigen, dass die Türken – und nicht die Araber – die wahren Verteidiger der Ehre des Propheten sind.“

– II –

Erdoğan, der die Re-Islamisierung seines Landes: Türkei mit all der ihm zur Verfügung stehenden Macht vorantreibt, geriert sich nun auch noch als Verteidiger der Glaubensfreiheit.

„Der türkische Präsident kritisierte zudem erneut eine Razzia in einer Berliner [Mevlana-]Moschee wegen Verdachts auf Corona-Subventionsbetrug.

Erdogan verweist auf die Glaubensfreiheit

„Von hier aus appelliere ich natürlich auch an Kanzlerin Merkel. Bei euch gibt es doch angeblich Glaubensfreiheit? (…) Wie kann es dann sein, dass bei einem Morgengebet mehr als 100 Polizisten die Moschee angreifen?“, sagte Erdogan. In der Türkei könne so etwas nicht passieren, „denn bei uns gibt es wahre Glaubensfreiheit“.“ (Tagesspiegel, 26.10.2020)

Glaubensfreiheit à la Erdoğan: soll heißen:

Unterwerft euch gefälligst, ihr scheiß Ungläubigen!

Werdet Dhimmis — besser noch: konvertiert, oder wir zertreten euch.

Allāhu akbar!

Und was macht Mutti-Deutschland?

Alternativlose Politik! Sprich:

Maul halten! und Dhimmi-Kuschelkurs fortsetzen!

Hurra!

 

Macrons verzweifelter Appell an die Einheit der Franzosen

Kulturzeit vom 19.10.2020

Kulturzeit vom 28.10.2020

NACH MESSER-MORD IN DRESDNER ALTSTADT: VERDÄCHTIGER ALS ISLAMISTISCHER GEFÄHRDER BEKANNT, tag24.de, 21.10.2020

Friedrich Merz, Warum ist dieser islamistische #Syrer…, 21.10.2020

Friedrich W. J. Schelling, Von der Weltseele, Sämtliche Werke, Bd. 2, Stuttgart u. Augsburg, 1857

In Simon Brolls Beitrag für die Kulturzeit vom 19.10.2020 ist folgender Auszug aus Emmanuel Macrons Ansprache anlässlich der Ermordung von Samuel Paty eingearbeitet (und – von wem?– so übersetzt):

„(1) Sie werden uns nicht spalten. (2) Das versuchen sie. (3) Und wir müssen gerade deshalb zusammenhalten. (4) Ich rufe die Gesamtheit aller Mitbürger auf, gemeinsam zu stehen, vereint zu sein ohne Unterscheidungen, die uns trennen könnten. (5) Denn wir sind vor allem Bürger, die vereint sind durch die gleichen Werte, eine Geschichte und ein Schicksal.“

Macrons Appell läuft ins Leere: muss ins Leere laufen.

Schon eine knappe Satz-für-Satz-Analyse des von Broll zitierten Rede-Auszugs zeigt dies auf.

(1) Behauptung (objektiv): dass sie uns nicht spalten werden, wobei beide Gruppen (sie und wir) nicht benannt/identifiziert werden.

(2) Unterstellung (subjektiv): dass sie uns spalten wollen. Die Absicht des Spaltens setzt bereits (vermeintlich oder tatsächlich) bestehende Divergenz voraus. Sie, die anderen, und wir, die einen, werden als antagonistische Gruppen vorgestellt.

(3) Appell: zunächst an die mit wir angesprochene Gruppe zum Zusammenhalt in der eigenen Gruppe. Im zugrunde gelegten Vorkommnis manifestiert in den zu Protest und Trauer versammelnden zehntausenden Demonstranten.

(4) Appell: an die Gesamtheit/Totalität aller, i.e. unter Einschluss derer, die zuvor mit sie (als die vom wir Ausgeschlossenen) bezeichnet wurden, eine Einheit zu bilden ohne auf Divergenzen zu achten.

(5) Begründung (eingeleitet durch denn) mittels der Aussage: wir, und zwar jetzt alle Bürger, sind eins in Werten, Geschichte und Schicksal.

Verzweifelt ist Macrons Appell, weil er unrealistisch ist. Denn er unterstellt als Tatsache, dass sich alle Bürger (bereits) als Einheit begreifen (5), was jedoch gerade nicht der Fall ist, wie just die Ermordung Patys (wieder mal) zeigte. (siehe auch Frankreich trauert um von Flüchtling enthaupteten Lehrer)

Bereits das Denken der alten Griechen kreiste um den Zusammenhang von Einem und Allem (ἓν καὶ πᾶν): die Alleinheit. (Vgl. die Redensart: Du bist mein Ein und Alles.)

Von Friedrich W. J. Schelling wird der Zusammenhang von Gesamtheit, Einheit und Vielheit — doch anders als bei Macron — unter Bezug auf das Universum so thematisiert:

„wirkliche Ganzheit (totalitas) [bestehe…] durch die Einheit in der Vielheit. Die Ganzheit fordert daher die Einheit (identitas), und kann ohne diese auf keine Weise gedacht werden.“  (Schelling, 362)

(Wobei für den Gläubigen Schelling Universum die Menschenwelt nicht ausschließt, sondern mit einschließt.)

Macron differenziert ebenfalls zwischen Gesamtheit (4) und Einheit (4), (5). (Auf Vielheit hingegen bezieht er sich in den oben zitierten Sätzen nur indirekt.) Gesamtheit ist für ihn die Menge aller Bürger. Identität aber ist nichts Gegebenes, sondern Aufgegebenes, durch Vereinigung erst zu Bildendes.

Wie soll Identität jedoch gelingen, wenn sie nicht wollen und wir (nämlich die Franzosen, zu denen sich Macron zählt) auf die Einhaltung unserer Werte bestehen? Durch Umerziehung à la China? (siehe Chinas Griff nach Europa – laut „Kronzeugin“ Sayragul Sauytbay)

Oder sollen wir – anderes Extrem – eingeschüchtert das Handtuch werfen und allesamt zu Dhimmis mutieren à la Deutschland? Haben wir uns denn vom Christentum selbst-aufklärend emanzipiert, um uns jetzt erst recht fremd-knechten zu lassen? Wie masochistisch veranlagt sind wir denn?

Patrick Pelloux, ehemaliger Charlie Hebdo-Mitarbeiter drückt das in einem Beitrag von Simone Hoffmann für die Kulturzeit (vom 28.10.2020, in der sie die Frage stellt „hat der islamistische Terror der Republik längst einen Maulkorb verpasst?“, so aus:

„Es muss eine Empörungswelle geben. Wir haben Jahrhunderte lang gebraucht, um uns von der Diktatur des Klerus zu befreien, der die Macht hatte. Die Unterdrückung des Volks durch die Kirche war einer der Motoren der Französischen Revolution.“ (Übersetzung von?)

Reicht es denn nicht, dass wir in Vielheit, sprich Multikulti-Beliebigkeit zerfaseln? in der jede Gruppe und jedermann/frau vermeint, ein Recht darauf zu haben, seine/ihre Privat-Identität nach eigenem Gusto auszuleben und mancher meint, seine einzig wahren Eliten-Werte mit Gewalt durchsetzen zu dürfen? (siehe Frankreich trauert um von Flüchtling enthaupteten Lehrer) —

Anlässlich des jüngsten Beispiels aus Deutschland: NACH MESSER-MORD IN DRESDNER ALTSTADT: VERDÄCHTIGER ALS ISLAMISTISCHER GEFÄHRDER BEKANNT  stellt Friedrich Merz auf Twitter die vorgeblich naiv-dümmliche Frage:

Warum ist dieser islamistische #Syrer nach Verbüßung seiner Haftstrafe nicht in Sicherungsverwahrung genommen oder abgeschoben worden? (FM) #Dresden @derspiegel

Weiß Kanzleranwärter Merz denn nicht, dass syrische Flüchtlinge, die uns 2015 heimsuchten, insbesondere die Polizei bekannten Jungspunde unter ihnen mit Duldungsstatus, unter dem Schutz von Mutti persönlich stehen und eine Bereicherung für Deutschland sind?? — Der muss noch viel lernen, der Grünschnabel, will er Muttis Nachfolger werden…

Was heißt radikal? – unter Beug auf Heidegger…

Martin Heidegger, Nietzsche, Erster Band, Klett-Cotta-Ausgabe, Stuttgart, 82020 (zitiert als I)

Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), Klostermann-Gesamtausgabe Bd. 65, Frankfurt a. M. 42014 (zitiert nach Abschn.)

Laura Beck, Change the World – Junge Weltretter, ttt, 4.10.2020

I

Das Wort radikal ist griechisch-römischen Ursprungs. Es geht zurück auf das griechische Wort ῥάδιξ, das im Lateinischen radix heißt – wobei im Schriftbild lediglich die griechischen durch lateinische Buchstaben ersetzt wurden. Im Deutschen sagen wir Rettich für eine Pflanze, die nur ein (einziges) Radix, eine Wurzelknolle, ist. Im Englischen heißt Rettich radish; im Französischen radis. In solch Sprachverwandtschaft kann man/frau unschwer unsere gemeinsame europäische Kultur des Pflanzens als in griechisch-römischem Erb-Boden gedeihend erkennen.

Auf Neugriechisch heißt radikal übrigens ριζικό, in lateinischen Buchstaben geschrieben Risiko (mit Betonung auf o) – ein Wort, das ebenfalls auf Altgriechisch ῥάδιξ zurückgeht. Alles Radikale wäre demnach Risiko behaftet. Und weiter: der Risikogesellschaft (Ulrich Beck), in der wir leben (weil wir uns nicht nur natürlichen, sondern auch selbst-geschaffenen Risiken aussetzen), wäre ein Bezug zur Radikalität immanent. Eine noch nicht gestellte Frage…

II

in seinem zweiten Hauptwerk „Beiträge zur Philosophie (vom Ereignis)“ zeigt Heidegger, warum Philosophie einen neuen, völlig anderen Anfang braucht. Aus seiner radikal neuen Perspektive, dass die abendländische Philosophie in die Seinsverlassenheit (die „der Grund der Seinsvergessenheit“ ist) geführt habe, (Abschn. 55, S. 114) plädiert er für einen Neuanfang, wobei dieser Neuanfang radikal anders sein müsse (um eine neue Geschichte, anders als die bisherige, begründen zu können). Die von der Metaphysik geprägte Philosophie von den Vorsokratikern bis heute sei zu verlassen. 2.500 Jahre abendländische Geistesgeschichte seien in der Philosophie Nietzsches, im Nihilismus, zu ihrem Ende gekommen,

„einzig durch Nietzsche [sei…] das Ende der abendländischen Metaphysik“ vollzogen worden. (Abschn. 85, S. 174) Es gelte „Nietzsche als das Ende der abendländischen Metaphysik [zu] begreifen“ (Abschn. 89, S. 176)

und zwar als Nihilismus:

„Nihilismus heißt: Die obersten Werte entwerten sich.“ (I, S. 23) – Für Heidegger ist der Nihilismus Nietzsches Resultat dessen, „was Nietzsche selbst früh als seine Aufgabe erkannte: der Umkehrung des Platonismus.“ (Abschn. 90, S. 182) –

Und da keine „geschichtliche Bewegung […] aus der Geschichte herausspringen und schlechthin von vorne anfangen“ kann, (eb.) braucht es „die neuen Philosophen“, die „nach Nietzsche [als] Versuchende“, nicht als (All-)Wissende!, „die obersten Werte setzen“. (I, S. 23)

In den 30er Jahren, in den Jahren des wachsenden, immer mächtiger werdenden und sich durchsetzenden Hitlerregimes erkannte/sagte er ex post, dass sein Werk „Sein und Zeit“ (veröffentlicht 1927) noch auf der Grundlage und im Fahrwasser der (alten) Philosophietradition geschrieben wurde und daher zwar radikal, aber nicht radikal genug für die anstehende/ausstehende, komplett neue Blickbahn gewesen sei. –

Übrigens kritisiert er in seinen „“Beiträgen“, seinem zweiten Hauptwerk, u.a. die nationalsozialistische Ideologie hinsichtlich der ihr zentralen Aspekte des Völkischen und des RiesenhaftTotalen pointiert scharf.

„der eigentliche Nihilismus ist: man will sich die Ziel-losigkeit nicht eingestehen. Und deshalb »hat« man plötzlich wieder »Ziele« und sei es nur, daß, was allenfalls ein Mittel für die Zielaufrichtung und Verfolgung sein kann, selbst zum Ziel hinaufgesteigert wird: das Volk z.B. Und deshalb ist eben da, wo man wieder Ziele zu haben glaubt, wo man wieder »glücklich« ist, wo man dazu übergeht, die bisher den »Meisten« verschlossenen »Kulturgüter« (Sinus und Seebadereisen) allem »Volke« gleichmäßig zugänglich zu machen, eben da, in dieser lärmenden »Erlebnis«-Trunkenboldigkeit, ist der größte Nihilismus“. (Abschn. 72, S. 139)

Das Hitlertum sieht er als Teil eines überkommenen-altmodischen, nicht zukunftsorientierten Denkens. Heideggers (freilich nur in der Abgeschiedenheit seiner Berghütte, etc. vorgetragener) „Punk“ basiert auf Nietzsches Nihilismus. Selbst der Nihilismus unserer Punk-Generationen (ab Mitte der siebziger Jahre) ist nur eine Nachwirkung der von Heidegger konstatierten Machenschaften in unseren Gesellschaften.

III

Als die Perser 480 v. Chr. Athen eroberten, verbrannten sie die Akropolis. Doch schon einige Tage später begann der dort mitverbrannte Olivenbaum – den dem Mythos zufolge die Göttin Athene den Athenern als Geschenk vermacht hatte – neue Blätter zu treiben. Das heißt: (Selbst verbrannte) Pflanzen können sich regenerieren. Will man/frau eine Pflanze radikal zerstören, so muss man/frau sie vollständig ausgraben und vor allem ihre Wurzeln (lat. radices) zerstören. Denn Pflanzen beginnen zu leben, indem sie Wurzeln bilden (lat. radices agere). Solange die Wurzeln einer Pflanze leben, lebt sie weiter. Sogar Zähne leben so lange, wie ihre Wurzeln da sind. –

Hierzu zwei Aspekte aus Heideggers Philosophie nach Sein und Zeit:

      • Zum einen: die Wurzelmetaphorik im Streit Erde vs. Welt unter Bezug auf das Verstehen:

Das „Verstehen [ist] als Entwurf ein geworfener […] gewurzelt in der Erde, aufragend in eine Welt.“ (Abschn. 138, S. 259)

Begriffe, die nicht entsprechend gegründet werden, nennt Heidegger folglich ‚entwurzelte Begriffe‘. So sind für ihn

„Erörterungen über essentia und existentia […] ein leeres Geschiebe entwurzelter Begriffe.“ (Abschn. 150, S. 272)

      • Zum andern: Heidegger betrachtet Zeit als etwas, das im Zeit-Raum stattfindet. Doch im Gegensatz zu Einstein verbleibt für ihn das Gefüge von Raum und Zeit unter dem Primat der Zeit; er verräumlicht die Zeit, aber er verzeitigt nicht (bzw. nur andeutungsweise) den Raum:

Das „Durchdenken der Zeit bringt sie in der Bezogenheit auf das Da des Da-seins mit der Räumlichkeit des Da-seins und somit mit dem Raum in wesentlichen Bezug […] Aber Zeit und Raum sind hier, an der gewöhnlichen Vorstellung von ihnen gemessen, ursprünglicher und vollends der Zeit-Raum, der keine Verkoppelung, sondern das ursprünglichere ihrer Zusammengehörigkeit.“ (Abschn. 95, S. 189)

und

„Die Zeit als entrückende-eröffnende ist in sich […] zugleich einräumend, sie schafft »Raum«. Dieser ist nicht gleichen Wesens mit ihr, aber ihr zugehörig, wie sie ihm.

Raum muss aber auch hier ursprünglich als Räumung begriffen sein (wie sich diese in der Räumlichkeit des Da-seins anzeigen, aber nicht voll ursprünglich begreifen läßt).“ (Abschn. 98, S. 192)

IV

in der aktuellen Politik sieht man/frau einen derart radikalen Ansatz in der Bewegung „Fridays for Future“. Es begann unspektakulär mit Protesten eines einzelnen kleinen, unscheinbaren, schüchternen Schulmädchens namens Greta Thunberg irgendwo in Europa. In wenigen Wochen erwuchs daraus eine weltweite Bewegung. Und noch immer eint all die Protestierenden einzig die ursprünglich nur von einer Einzelnen vorgetragene Forderung nach einem radikalen Wechsel der Klimapolitik. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel. Doch wie es erreicht werden könnte, wissen sie nicht. Die Umsetzung ihrer Forderung in Politik sehen sie nicht als ihre Aufgabe an. Wohl aber das Engagement in konkretem Handeln wie z.B. Müllbeseitigung, und Entwicklung technischer Lösungen (siehe ttt-Beitrag von Laura Beck). –

Auch Heidegger stellt eine radikale Forderung. Er sieht es als nötig an, dass die Philosophie neu anfange. Der wesentliche Grund hierfür sei die „Seinsverlassenheit, näher gebracht durch eine Besinnung auf die Weltverdüsterung und Erdzerstörung“. (Abschn. 56, S. 119) Er skizziert diesen anderen Anfang (u.a. in den Beiträgen) vor, aber er formuliert die entsprechende Philosophie nicht aus. Er sagt, dass dies die Aufgabe für die Zukünftigen sei. (siehe insbes. Abschn. 45, S. 96ff.) –

Im Gegensatz zu den bereits politisch etablierten „Grünen“ sind die „Fridays for Future“-Aktivisten (noch) keine Politiker/-innen. Doch vergessen wir nicht: auch die Grünen waren in ihren Anfängen – lange vor der Wiedervereinigung – eine radikale Bewegung: für Frieden, gegen Atomkraft, usw. Doch jetzt agieren sie als Partei – ähnlich wie andere Parteien. (Derzeit rangieren sie in Umfragen sogar als zweitstärkste Kraft nach der CDU/CSU.) –

Doch vergessen wir nicht, dass das Vergleichen, so Heidegger, bereits der erste Schritt sei, um das Verglichene anzugleichen, ja identisch zu machen:

„Alles Vergleichen ist aber im Wesen ein Gleichmachen, die Rückbeziehung auf ein Gleiches, das als solches gar nicht ins Wissen kommt, sondern jenes Selbstverständliche ausmacht, aus dem alles Erklären und Beziehen seine Klarheit nimmt.“ (Abschn. 76, S. 151) –

Siehe auch die Ansätze der Gleichschaltung, der totalen Konformität, etc. die das Hitler-Regime radikal umsetzte und dessen Machenschaften Heidegger als Zeitzeuge beobachtete und (zumindest) öffentlich nicht kritisierte (anfangs sogar als Neuanfang begrüßte):

„Die totale Weltanschauung muß sich der Eröffnung ihres Grundes und der Ergründung ihres Reiches ihres »Schaffens« verschließen; d. h. ihr Schaffen kann nie ins Wesen kommen und zum Über-sich-hinaus-schaffen werden, weil die totale Weltanschauung damit sich selbst infrage stellen müßte. Die Folge ist die: das Schaffen wird im vorhinein ersetzt durch den Betrieb. Die Wege und Wagnisse einstmaligen Schaffens werden in das Riesenhafte der Machenschaft eingerichtet, und dieses Machenschaftliche ist der Anschein der Lebendigkeit des Schöpferischen.“ (Abschn. 14, S. 40f.)

V

Eine andere Spielart von Radikalität besteht darin, zu den Wurzeln historisch/geschichtlich zurückzugehen/zurückzukehren und das Leben von neuem zu beginnen. Auslöser für diese Rückbewegung ist ebenfalls die Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Doch im Unterschied zu der vorab genannten Spielart geht es hier nicht darum, die (bisherige) Tradition zu verlassen, sondern sie zu desavouieren. –

Heidegger betont ausdrücklich, dass die neue Blickbahn (des anderen Anfangs) die bisherige (des ersten Anfangs) nicht abwehrte (sondern grundlege):

„die Ab-setzung des anderen Anfangs gegen den ersten [ist…] niemals »Verneinung« im gewöhnlichen Sinne der Abweisung und gar Herabsetzung.“ (Absch. 90, S. 178)

„Die Rede vom Ende der Metaphysik darf nicht zur Meinung verleiten, die Philosophie sei mit der »Metaphysik« fertig, im Gegenfall: diese muß ihr jetzt erst in ihrer Wesensunmöglichkeit zugespielt und die Philosophie selbst so in ihren anderen Anfang hinübergespielt werden.“ (Abschn. 85, S. 173) –

Ein Beispiel hierfür ist der Islamische Staat (IS). Seiner Ideologie zufolge entspreche der zur Zeit gelebte Islam nirgendwo der vom Propheten Mohammed geforderten Praxis. Die Geschichte des Islam sei eine Geschichte des Ab-/Verfalls. Es sei geboten, die islamische Bewegung neu zu beginnen. Vorbild für den Neuanfang ist das Leben, wie es Mohammed und sein Gefolge (einst) führten.

Doch die Rückkehr zu den Anfängen muss nicht Jahrhunderte an Geschichte voraussetzen. Die diversen Neonazi-Bewegungen sehen sich als Nachfolger des Hitler-Regimes, das 1945, vor weniger als einem Jahrhundert, unterging. –

Heidegger zufolge gründen alle radikalen Bewegungen im (von Nietzsche prophetisch angekündigten und vorformulierten) Nihilismus. Machtgeile Führer wie Trump, Putin, Erdoğan, Lukaschenko usw. sind nur möglich als Emporkömmlinge, Helden aus nihilistischem Umfeld. Sie sind Gefangene ihrer eigenen Machenschaften. Sie bedürfen ihrer Unterstützer, die sie möglichst zahlreich um sich scharen, um sich und ihnen die Macht und damit die Machenschaften als Erwerbsgrundlage (noch) möglichst lange zu erhalten. Ein Pakt auf Gegenseitigkeit…