Geil auf Lockdown: Einsam aber sicher!
Ausstellung ANSELM KIEFER, Kunsthalle Mannheim, unter Vorbehalt bis 22.8.2021
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Woran es liegt, dass wir Deutschen, die Erfinder und Meister der German Angst, uns in der Pandemie vorbildlich verhalten, uns zu Hause einigeln, draußen auch dann noch Maske tragen, wenn weit und breit kein anderer in Sicht ist und somit keinerlei Ansteckungsrisiko besteht und (laut Politbarometer) stets die Politiker hochjubeln, die den Lockdown am rigoroseren durchzusetzen vorgeben? Es liegt wohl an unserem gestörten Verhältnis zu Leben und Tod.
Paul Celan verdichtete seine Holocaust-Erfahrungen in dem Bild: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Die betriebsmäßige Todesmaschinerie des Dritten Reichs (in seinen diversen Ausprägungen) ist im kollektiven Bewusstsein auch heute fest verankert – in jedem von uns, welch politischer Couleur auch immer wir anhängen.
In den (Nach-Weltkriegs-)Ruinen unserer zerbombten Städte sehen wir – wie Hermann Kasack einst – noch heute den lungernden Tod, den Untergang aus eigener Schuld – je nach politischer Couleur die einen mehr, die andern weniger. Nur für wenige, unvorbelastete und insofern unschuldige Kinder – wie den kleinen Anselm Kiefer – öffne(te)n die grausigen Ruinenfelder sich als eine Spielwiese für Kreativität, freilich für eine im Nachhinein vornehmlich in Blei gegossene.
Anlässlich seiner Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim erklärte er in der Kulturzeit vom 9.3.2021:
„Als ich geboren wurde, in der Nacht wurde unser Haus gebombt. Und da hatte ich den besten Spielplatz. Wunderbare Ruinen. Die Steine, die Backsteine hab ich genommen, um Häuser zu bauen. Das war mein einziges Spielzeug. Was anderes gab’s nicht.
Ich schau unheimlich gern die Bilder an der zerbombten deutschen Städte. Das ist für mich die reine Ästhetik. Auch, weil das für mich ein Anfang ist, nicht ein Ende, immer. Ruine ist immer für mich ein Anfang.“
Im Laufe der Bundesrepublik dann entwickelten wir ein extremes, überzogenes Sicherheitsbedürfnis. Das Wirtschaftswunder ist dem geschuldet: Nie wieder hungern! Vor die Alternative Freiheit oder Sicherheit gestellt, entschieden wir im Westen uns stets für Letzteres. Der Fall der Mauer war denn auch vor allem ein Ost-Projekt: Freiheit statt Sozialismus! Es war ein Aufstand gegen den real existierenden Mangel. Die Freiheitseuphorie der Ostler verflog denn auch schnell, nachdem die sehnsuchtsvoll erwartete Verheißung, die D-Mark, da war. Das Gebilde DDR wurde ruck-zuck abgewrackt und der Osten unter allseitigem Jubel der BRD angefügt.
Nun hält uns die Pandemie den Spiegel vor. Corona offenbart, wie wir unser Miteinander leben. Covid-Patienten werden, sobald sie ein Krankenhaus betreten, isoliert, persönlicher Beziehungen beraubt, zu einem Betriebsfall, in den Geschäftsbetrieb eingegliedert und dem Tod-nach-Möglichkeit-Verhinderungs-Getriebe übergeben und überlassen. Gesunden sie, so können sie in den Alltag zurück. Sterben sie, so sterben sie isoliert, einsam und steril.
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Philosophisch gesehen hängt dieser Sicherheitswahn – so Heidegger – eng mit dem Siegeszug des von Nietzsche prognostizierten Willens zur Macht zusammen. Da dieser Gedanke, der die Beziehung zwischen Wachstumsbesessenheit und Sicherheitswahn ins Zentrum rückt, selbst in Fachkreisen wenig bekannt ist — Nietzsche wird ja gern (wie auch Hölderlin) als ob seiner verqueren Sprachakrobatik wahnsinnig gewordener Dichter(-Philosoph) abgewertet —, hier längere Passagen aus Heideggers Der Anfang des abendländischen Denkens (Gesamtausgabe, Bd. 55):
„Zuletzt hat Nietzsche die Gleichsetzung von ›Sein‹ und ›Leben‹ ausgesprochen, und zwar in dem Sinne, daß das ›Leben‹ als »Wille zur Macht« erfahren und begriffen ist. Damit wird dem Wort ›Sein‹ die Rolle des Grundwortes der Philosophie genommen. ›Sein‹ bleibt die Bezeichnung dessen, was ›Beständigkeit‹ meint. Diese wird allerdings im Sinne der neuzeitlichen Metaphysik als ›Sicherheit‹ und ›Sicherung‹ gedacht. Allein die Bestandssicherung, also ›das Sein‹, ist nicht der Wille zur Macht selbst, ist nicht ›das Leben‹ selbst, sondern nur eine vom Leben selbst gesetzte Bedingung seiner selbst. Der Wille zur Macht kann nur wollen, was er allein will und wollen muß, nämlich ›mehr Macht‹, also Machtsteigerung, wenn jeweils die erreichte Machtstufe gesichert ist, von der aus und über die hinaus der nächste Schritt sich vollzieht. Das jeweils Gesicherte, das Seiende, und die jeweilige Sicherung, das Sein, bleiben, innerhalb der Perspektive des Willens zur Macht gesehen, dass stets nur Vorübergehende, was nur ›ist‹, um überwunden zu werden, was daher notwendig verdunsten muß im Feuer des Willens zur Macht.“ (104; im Original kein Fettdruck)
„Der höchste Wille zur Macht ist, das Werden zu wollen, dieses aber als Sein stabilisieren“. (105)
„Wir sind in der Vergessenheit des Seins und wir sind dergestalt, daß wir vom Willen zur Macht als der Wirklichkeit des Wirklichen gewollt sind, ob wir es wissen oder nicht, ob wir es grausig finden oder nicht. Wir sind, so wie wir geschichtlich sind, als die im Willen zur Macht Gewollten. […] Der Wille zur Macht ist weder eine Erfindung Nietzsches noch eine Erfindung der Deutschen, sondern er ist das Sein des Seienden, auf dessen Grunde die europäischen Nationen samt den Amerikanern in den letzten Jahrhunderten seiend geworden sind und das Seiende vergegenständlicht haben.“ (107)