Glücksversuche einer „Glücksphilosophin“

Zu Ariadne von Schirachs Buch Glücksversuche: Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen

Will man/frau wissen, auf welch geistigem Unterst-Niveau sich Ariadne von Schirachs jüngstes in Buch gepresstes Gelaber über das Glück bewegt, so genügt ein Blick in Richard Herolds Lobhudelei auf Kulturzeit, ausgestrahlt am 10.1.2022. (https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/sendung-vom-10-januar-2022-100.html)

In seinem Beitrag entblödet sich Richard Herold (RH) zu folgenden Aussagen gewürzt mit Einsprengseln irgendwelcher Zufalls?-Passanten und den Antworten der „Philosophin“ (AS):

RH „Mit dem Glück beschäftigt sich die deutsche Philosophin und Autorin Ariadne von Schirach. Sie kennt sich bestens damit aus, ergründete in einer wöchentlichen Kolumne, was uns glücklich macht. Diese Texte hat sie in ihrem aktuellen Buch zusammengefasst.“

Philosophisches Fragen ist wohl kaum eine nationale Angelegenheit. Insbesondere wird das Glück sich wohl kaum nach nationalen Belangen differenzieren: als deutsches, schweizerisches usw. Glück. Die Dummheit des Attributs deutsch zeigt sich schon darin, dass im Beitrag Passanten mit Schweizer Akzent, also Nicht-Deutsche zu Wort kommen. Zudem könnte die Kennzeichnung deutsch eine Nazi-Nähe suggerieren, die der Autor garantiert nicht intendiert. Damit aber nicht genug der Dummheit.

Eine Philosophin ist für Herold jemand, der sich bestens auskennt, eine Expertin also, im vorliegenden Fall eine Expertin für Glück. Eine Philosophin ist also eine Glücksexpertin. — Ginge es um Mäusezucht, gäbe es nach Herold dem Scharfsinnigen wohl auch Mäusezucht-Philosophen und -Philosophinnen.

Das Zusammentragen von Texten und das Publizieren dieser in Buchform: welch höchst philosophische Tätigkeit, preisverdächtig. Ob dieser Großtat sollte das Philosöphchen für den Ἄξιον ἐστίν 2022 nominiert werden. — Ob von Schirach bei der Textanordnung wohl ähnlich genial vorgegangen ist wie die Macher des Koran? Anordnung der Texte nach Anzahl der Wörter? Der Text mit den meisten Wörtern zuerst, der mit den wenigsten zuletzt? Inhalt: Nebensache. Logische Stringenz: Unwichtig.

AS „Glücklich machen uns Naturerfahrungen und glücklich macht uns inneres Wachstum. All diese Dinge sind nicht konsumierbar, aber sie sind erfahrbar und sind eine belastbare Antwort auf die Frage nach dem Glück und nach dem Sinn. Und Glück erscheint uns dann eher als etwas, das uns zufällt, eine goldene Zeit, eine wunderbare Begegnung, eine Liebesgeschichte und so weiter.“

Was ist das denn, inneres Wachstum? Ein Ding gar? Ein nicht konsumierbares Ding: Was soll das denn sein? Ob Philosöphchen dabei an Descartes gedacht hat (res cogitans vs. res extensa)? Welch Ding-Begriff liegt da zugrunde? Doch ist dies nicht geklärt, kann die Antwort nicht belastbar sein. Schon mal vom Satz vom Grund gehört? Leseempfehlung für Philosöpchen: Heideggers Vorlesungsskript Der Satz vom Grund.

Noch so ein nicht näher erläutertes Ding: die hingeworfene Nominalphrase eine wunderbare Begegnung. Was heißt hier wunderbar? Inwiefern können Begegnungen wunderbar sein?

RH „Also doch alles eher Zufall? Nur bedingt, sagt die Autorin. Glück kann erarbeitet werden.“

Und wie soll diese Arbeit am Glück aussehen?

AS „Die Idee ist, ein zufriedenes Leben zu führen und dadurch das Glück anzulocken. Und ein zufriedenes Leben zu führen bedeutet sich zu kennen, sich anzunehmen, aber auch sich zu erziehen, weil wir selber sind oft unser schlimmster Feind. Und die Suche nach dem Glück beginnt damit, sich selbst ein Freund zu werden.“

Das klingt nach den Weisheiten aus Zeitschriften wie Die Bunte. Trost für die Dummen, die sich mit dem Gelaber anderer zufrieden geben, weil sie zu denkfaul sind, um selbst „die Anstrengung des Begriffs auf sich zu nehmen“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, Vorrede, https://www.marxists.org/deutsch/philosophie/hegel/phaenom/vorrede2.htm) Und so treffen sich denn von Schirachs Leser und ihr Philosöphchen in wundersamer Begegnung selbstverschuldeter Unmündigkeit:

„Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

(Kant, Was ist Aufklärung? https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/159_kant.pdf)

RH „Sich selbst ein Freund sein, klingt gut. Was gehört sonst noch zum Glück? — Das vergängliche Glück, das Glück mit anderen Menschen, das Glück mit sich selbst. Ariadne von Schirach meint mit ihren Glücksversuchen aber nicht Selbstoptimierung, nicht das Ich gegen außen aufpeppen, sondern nach innen schauen und sich in Lebenskunst üben. Dabei denken wir oft, das Glück stehe uns doch zu, als Standardausstattung sozusagen für privilegierte Erste-Welt-Menschen.“

Das Glück mit anderen Menschen? Vor wenigen Tagen kam an einer Kreuzung in der Nähe unserer Wohnung ein 15jähriger auf seinem eben erst zum Geburtstag geschenkten Fahhrad ums Leben, weil er zu unachtsam war und der nach rechts abbiegende LKW-Fahrer nicht aufpasste. Soll das Glück mit anderen Menschen sein? Nach Sophokles vielleicht, dem nach nicht geboren zu werden das Beste, und wenn doch geboren worden, möglichst bald zu sterben das Zweitbeste sei. Oder ist das zynisch? Ob Sloterdijks Kritik der zynischen Vernunft helfen kann?

Das Glück mit sich selbst: Was, bitte schön, soll das denn sein? Ein mit sich selbst identisches Glück? Eine Frage der Evidenz? Erst der nicht vollzogene Rekurs auf den Satz vom Grund, nun eine Anspielung auf den Satz der Identität (A=A). — Immerhin das Eingeständnis, es handle sich um Versuche, Laborarbeit also, mit dem Ziel Nicht Selbstoptimierung. Immerhin: Eine definito ex negativo. Wie hübsch, Annäherung an das, was Glück ist, sprich das Wesen des Glücks durch Ausschlussverfahren. Doch lässt sich das Wesen von etwas, einem Ding gar, überhaupt ex negativo zureichend fassen? — Und dann noch ein wenig Fichte: Das Ich selbst, das sich ein Nicht-Ich entgegen setzt, um sich als Ich zu erkennen? Falls die Antwort ja ist, ist dann zu fragen: Wie, durch welchen Begriff, sind sie vereinigt oder zu vereinigen? Fichtes Anwort:

„Wir haben die entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich vereinigt durch den Begriff der Theilbarkeit.“

(Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Fichte,+Johann+Gottlieb/Grundlage+der+gesammten+Wissenschaftslehre/1.+Grunds%C3%A4tze+der+gesammten+Wissenschaftslehre/%C2%A7+3.+Dritter,+seiner+Form+nach+bedingter+Grundsatz)

Trifft dies auf das Glück zu? Ist Glück teilbar? Das Philosöphchen schweigt dazu. Ist auch besser so. Nur nicht festlegen. Für Blabla kann man/frau nicht belangt werden, für nachgewiesene Dummheit schon: Si tacuisses, philosophus mansisses — hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben (frei nach Boethius).

AS „Leute wie ich zum Beispiel sind in einer sehr privilegierten Position. Ich habe die Zeit, ich habe die Muße, ich habe den Raum darüber nachzudenken, wer ich bin, wer ich sein möchte, wer ich auf keinen Fall sein möchte, doch immer wieder werde und so weiter. Und das ist sozusagen ein Privileg, und Teil dieses Privilegs ist es auch immer daran zu erinnern, dass andere das nicht haben und sich dafür einzusetzen, das zu ändern.“

Schau an, Philosöphchen sieht sich als privilegiert. Und das zu Recht, auf mindestens vierfache Weise: (1) Nichts zustande zu bringen außer Gelaber. (2) Dieses Gelaber dann gedruckt zu bekommen — „Parturient montes, nascetur ridiculus mus“ — Die Berge kreißten und gebaren eine lächerliche Maus (Horaz) – (3) dann dafür bezahlt zu werden. (4) Und zu guter Letzt sogar noch gelobpreist werden! Wenn das nicht wahres, multiples Glück ist. — Selig sind die geistig Armen

RH „Hat die Suche nach dem Glück Selbstverwirklichung, aber heute noch eine Berechtigung angesichts von Klimaschock und Coronakrise?“

AS „Ein Glück beginnt damit, dass wir darüber nachdenken, wie wir uns selbst und den anderen und dem Leben gerecht werden, da liegt genau in der Krise die Notwendigkeit zu überlegen, was uns eigentlich wirklich glücklich macht. Ich kann Ihnen das ganz klar beantworten. Am glücklichsten machen Menschen, menschliche Beziehungen, tiefe menschliche Beziehungen. Das kostet nichts. Das kostet Zeit, das kostet Liebe, aber es kostet kein Geld.“

Doch gegebenfalls die Gesundheit oder das Leben. Tiefe menschliche Beziehungen? Zwischen Folterer und Gefoltertem?, wie sie Doğan Akhanlı in seinem Roman Fasıl beschrieb? Erlebnisse, die sein späteres Leben prägten, auf die er aber gern verzichtet hätte. Von wegen:

RH „Das Glück ist also oft nur den sprichwörtlich einen Schritt entfernt. — Zuletzt noch die Frage an die Glücksphilosophin, was sind Ihre ganz eigenen Glücksmomente?“

AS „Wenn ich mich mit einem Menschen unterhalte und austausche, wenn das Kind morgens zum Kuscheln kommt, wenn ich etwas sehr gutes zum Essen habe, wenn ich ein frisches Buch aufschlage, das ich noch nicht kenne, wenn ich in der Sauna daliege, nachdem ich mich abgekühlt habe, wenn ich das erste Mal das Meer sehe nach einer langen Zeit, beim Anblick erster Schlupf?-Vögel und Pflanzen…“

Die zufällig? befragten Passanten scheinen weiter zu sein als die von Herold zur Glücksphilosophin Gekürte. Denn sie haben erkannt: Glück ist relativ, auf die eigene Person bezogen und wird nur reflexiv bewusst und gewusst. Γνῶθι σεαυτόν – Erkenne dich selbst – lautete einer der auf dem Apollon-Tempel, der Orakelstätte in Delphi in Stein gemeißelten Sprüche.

Fazit: Statt von Schirachs Gewäsch zu konsumieren, seien aufgeklärten Menschen die Weisheiten der Sieben Weisen empfohlen. Deren Sprüche sind kurz, präzise und bedenkenswert — und zudem auch noch als Buch pekuniär wesentlich günstiger erhältlich.

Donatella Di Cesare: Antisemitismus in der deutschen Philosophie (von Luther zu Hitler)

Frog1(Donatella Di Cesare, Heidegger, die Juden, die Shoah, Frankfurt a. M., 2016)

Im zweiten Kapitel (47-109) ihres höchst lesenswerten Buchs thematisiert Donatella Di Cesare Die Philosophie und der Hass gegen die Juden (nachdem sie im ersten Kapitel – mit Titel Zwischen Politik und Philosophie – zunächst auf die neuere Heidegger-Rezeption eingegangen war.

Es ist erschreckend, bei Di Cesare nochmals nachzulesen/nachlesen zu müssen, wie sich der Antisemitismus nicht nur in der christlichen Religion – gerade in der Reform-Bewegung von Luther, „der als erster die Zerstörung des Judentums gefordert hatte“ (47) –, sondern auch bei Kant und im Deutschen Idealismus (bei Fichte und Hegel) und seiner (Radikal-)Kritik durch Schopenhauer und Nietzsche breitmachte.

Bereits Luther sah die Juden als verlogen und als unbekehrbare „innere Feinde“ an, die zu vernichten seien. (50) Di Cesare zitiert: „das man ire Synagoga oder Schule mit feur anstecke“… (52) Aus heutiger Sicht liest sich das wie die Vorwegnahme der Reichskristallnacht.

Es sind insbesondere die folgenden Zuschreibungen, die immer wieder erhoben und miteinander verquickt werden:

  • Das Judentum als religiös verlogen
  • Das Judentum als Nicht-Religion

Den Vorwurf, dass die Juden Lügner seien, erhebten neben Luther auch Kant, Schopenhauer und Nietzsche. (53) Als Grundlage hierfür nennt Di Cesare die Behauptung (der Hebraisten), dass „das Judentum kein echter Glaube sei.“ (58) Auch Kant ist dieser Auffassung. Di Cesare zitiert:

Das „Judentum […] ist eigentlich gar keine Religion, sondern bloß Vereinigung einer Menge Menschen, die, da sie zu einem besondern Stamm gehörten, sich zu einem gemeinen Wesen unter bloß politischen Gesetzen, mithin nicht zu einer Kirche formten“. (Kant, Die Religion innerhalb…; nach 64)

  • Das Judentum als Staat im Staat / die Juden als politisch verlogen
  • Das Judentum als innerer Feind

Des Weiteren wird das Judentum als das gänzlich Fremde und daher als nicht integrierbarer Fremdkörper in der (werdenden) deutschen Nation stigmatisiert:

„Das Judentum, jene sonderbare, fremde Religion, wird – von Herder bis zu Fichte – zur Religion einer fremden Nation. Dem theologischen folgt unmittelbar das politische Stigma. Die Juden werden als ein Volk angesehen, das einem anderen Kontinent [dem Orient] entstammt.“ (59; im Original keine Hervorhebungen)

Die unterstellte politische Verlogenheit wird (jüngst) u.a.auch von Emmanuel Todd herausgearbeitet:

„Wenn der andere von Natur aus anders ist, kann seine Assimilation nur ein Täuschungsmanöver, ein Trick, eine Lüge oder der Versuch sein, sich in eine gesunde Kultur einzuschleichen, um sie von innen heraus zu verderben.“ (Wer ist Charlie?, Aus dem Französischen von Enrico Heinemann, München 2016, 88)

Dabei wird der sonst gern ins Spiel gebrachte Grundsatz ex oriente lux auf die Juden gerade nicht (vs. in dubio pro reo) angewandt.

Luthers Verdikt, dass die Juden innere Feinde seien, werde, so Di Cesare, von denjenigen (wieder) aufgegriffen, die auf die „kompromisslose Durchsetzung des deutschen Nationalismus“ drängten. (60) So insbesondere von Fichte, der die jüdische Nation als einen Staat im Staate betrachtet und „zum ersten Mal die Idee einer jüdischen Weltverschwörung angedeutet“ habe. (60)

Grundlage dieser Auffassung könnte folgender, von Kant vertretener Argumentationsstrang sein:

Das Judentum bilde, so Kant, die „unterste Stufe“ in der Hierarchie aller „historischen Religionen“. (62) Dabei sei das „Judentum […] eigentlich gar keine Religion, sondern […] ein bloß weltlicher Staat [… mit dem] politische[n] Glaube[n…], ihn [den Staat] (bei Ankunft des Messias) wohl einmal wiederherzustellen.“ (Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen…, 789f; nach 64)

Ausschlaggebend für die Negativwertung des Judentums ist demnach also die Unterstellung, dass die Juden eigentlich einen eigenen Staat wollten, dies aber verleugneten, indem sie nur so täten als ob sie Bürger des deutschen Staates seien. [Vgl. Dolchstoßlegende]

Fichte war wohl der erste, der dann das Ariertum als Gegenbegriff in den Diskurs über das Judentum einbrachte, indem er einen ursprünglich arischen Christus von einem abkünftig asiatischen unterschieden (61) und diese Differenz politisch gedeutet habe:

„Für die Deutschen beansprucht Fichte sowohl das Recht, das Erbe dieses ursprünglichen Christentums anzutreten, als auch die Aufgabe, es zu arisieren und in eine politische Mission zu übertragen.“ (61)

  • Die Juden als Volk von Betrügern
  • Die Juden als Volk unredlicher Kaufleute

Warum Kant bei Di Cesare erst nach Fichte untersucht wird, ist in ihrem Buch nicht näher ausgeführt.

Ein Aspekt, der von Anfang an mit virulent war, wird von Kant gar anthropologisch verankert: Für Kant sind die Juden „eine Nation von [moralisch betrachtet] Betrügern“: (Kant; nach 67)

„Die unter uns lebenden Palästinenser [!!] sind durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil, auch was die größte Menge betrifft, in den nicht unbegründeten Ruf des Betruges gekommen. [… Sie seien als] eine Nation von lauter Kaufleuten zu denken, deren bei weitem größter Teil […danach trachte, seinen] Verlust durch die Vorteile der Überlistung des Volks, unter dem sie [die Kaufleute] Schutz finden, und selbst ihrer untereinander, ersetzen [zu] wollen.“ (Kant, Anthropologie in pragmatischer…, 517f; nach 66f)

  • Das Judentum als perfide
  • Das Judentum als Sklavenmoral

Hegel thematisiert – ob bewusst oder unbewusst, bleibt offen – dieselben Vorurteile wie Fichte. Hegel zufolge

bringe der Jude „die Verheißung, versteht sie aber nicht. Er verrät sie sogar, indem er auf seinem Unglauben gegenüber dem Glauben beharrt, den er nicht anerkennen kann. Deshalb die Anschuldigung der Perfidie.“ (71; Hervorhebung im Original kursiv)

Das Judentum sei der Dialektik des Zu-sich-selbst-kommens des Geistes (d.h. in Freiheit) nicht fähig:

„Auf den drei Stufen, auf denen es [das jüdische Volk] sich allmählich bildet, Abrahams Schnitt, dem Exodus aus Ägypten, der Auferlegung des Gesetzes durch Moses, stellt sich seine Freiheit dreimal als Sklaverei heraus.“ Doch: „für ein Volk, das auch in dem Moment, in dem es frei wird, sich weiter als Sklave bestimmt, kann es keine Hoffnung geben.“ (77)

Das Judentum habe, so die Schlussfolgerung, vor dem τέλος der Geschichte kapituliert.

  • Das Judentum als Urgrund der christlichen Sklavenmoral
  • Die Juden als die Fälscher alles Natürlichen

Für den sich zum Antichrist gemauserten Pfarrerssohn Nietzsche ist das „Christentum […] eine Erfindung der Juden.“ (89) Nietzsche wende sich daher nicht nur gegen das Christentum, weil es Sklavenmoral predige, sondern auch gegen das Judentum als die Grundlage der christlichen Sklavenmoral. Er „bezichtigt [die Juden], ihn [Jesus] hervorgebracht zu haben.“ (89) Ähnlich wie für Hegel sind für Nietzsche, so suggeriert Di Cesare, die Juden „in der Geschichte die Gestalt der Entfremdung selbst.“ (91) Denn „ihr Geist [habe] sich zum starren priesterlichen Codex versteinert“: (91)

Im Antichrist schreibt Nietzsche:

„Die Juden sind das merkwürdigste Volk der Weltgeschichte, weil sie, vor die Frage von Sein und Nichtsein eingestellt, mit einer vollkommen unheimlichen Bewusstheit das Sein um jeden Preis vorgezogen haben: dieser Preis war die radikale Fälschung aller Natur, aller Natürlichkeit, aller Realität, der ganzen inneren Welt so gut als der äußeren.“ (Nietzsche, Der Antichrist, §24; nach 100)

Damit sind die Juden als widernatürlich gebrandmarkt. In Anschluss an Nietzsche sahen die Nazis es dann als ihre geschichtliche Aufgabe, die (vorgeblich von den Juden betriebene) Umwertung alles Natürlichen in Widernatürlichkeit radikal zurückgängig zu machen: Durch Auslöschung der Fälscher:

„Der Nationalsozialismus hat sich berufen gefühlt, die uralte Wertordnung wiederherzustellen: Hatte das Judentum, auch in seiner letzten Version, und zwar im Christentum, die Natur gefälscht und so eine extreme Entartung verursacht, so sei es nun nötig, zur Natur zurückzukehren, die Umwertung rückgängig zu machen und die Verantwortlichen, die Fälscher, auszulöschen.“ (101)

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