Chronik eines Pütschchens

Frog1(Findet ein Militärputsch in der Türkei statt?, Alles Schall und Rauch (Blog), 15.7.2016)

(Der Beweis, der Putsch war inszeniert, Alles Schall und Rauch (Blog), 17.7.2016)

(Ein Putsch der keiner war und keine Führung hat, Alles Schall und Rauch (Blog), 19.7.2016)

(Erdogans Jet nach Istanbul war nicht getarnt, Alles Schall und Rauch (Blog), 22.7.2016)

(Zülfü Livaneli, Lauter Dilettanten?, FAZ, 18.7.2016, 11)

(Moritz Rinke, Eylem heißt Widerstand, FAZ, 18.7.2016, 11)

(Christian Triebert, “We’ve shot four people. Everything’s fine.” The Turkish Coup through the Eyes of its Plotters, bellingcat (online), 24.7.2016)

(Ex-Luftwaffenchef beschuldigt Gülen-Bewegung, ZEIT online, 18.7.2016)

(Stefan Aust u. Dirk Laabs, Erdogans seltsamer Freund, Welt am Sonntag, 31.7.2016, 10)

Den bislang bekannt gewordenen Daten entsprechend scheint es zwei (relativ) unabhängig von einander agierende Putschistengruppen gegeben zu haben: eine in Istanbul (deren Kommunikationsverlauf von Christian Triebert auf bellingcat nachgezeichnet ist) und eine in Ankara.

(Doch da es ja einen Oberverantwortlichen geben muss, wurde ein zuvor bereits entlassener General, Akın Öztürk, fern des operativen Geschäfts, (nachtragend) zum Sündenbock erklärt.

„Zuerst meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, der Ex-Luftwaffenchef Öztürk habe seine Beteiligung am Putsch gestanden, er hätte gegenüber Vernehmungsbeamten gesagt, er hätte „mit Absicht gehandelt, den Putsch zu inszenieren„. Interessante Wortwahl der Übersetzung… (Der Putsch, der…)

Öztürk bekannte sich zwar – trotz Prügel – unschuldig, beschuldigte aber seinerseits den, den Erdoğan ohnehin zum Meister alles Bösen auserkoren hatte. Wie praktisch…:

„Meinen Erfahrungen nach denke ich [Öztürk], dass die parallele Struktur (die des Predigers Fethullah Gülen) diesen militärischen Putschversuch durchgeführt hat. Aber ich kann nicht ermessen, wer innerhalb der Türkischen Streitkräfte diese Sache organisiert und realisiert hat. Was das betrifft, habe ich kein Wissen. Ich habe gegen diese Struktur sehr gekämpft.“ (zitiert nach ZEIT)

Der Geheimdienst wusste frühzeitig Bescheid!!

Geheimdienstchef Hakan Fidan „war frühzeitig über den geplanten Putsch informiert. Das geht aus einem Ablaufprotokoll westlicher Nachrichtendienste hervor, das der „Welt am Sonntag“ vorliegt.

Danach habe Hakan Fidan am 15. Juli um 16.00 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit Informationen über den geplanten Putsch erhalten. Um 16:30 Uhr sei der Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte, General Hulusi Akar darüber informiert worden.“ (Aust u. Laabs)

Interessant ist, dass Fidan Erdoğan (angeblich) nicht informierte:

„Die Regierung Erdogan hat inzwischen erklärt, dass der Präsident nicht von seinem Geheimdienst oder dessen Chef, sondern sozusagen privat von seinem Schwager über den Putschversuch informiert worden sei.“ (Aust u. Laabs)

Doch nun zur Chronik der Putschnacht:

„Den Putschisten blieb nicht verborgen, dass ihre Aktion bekannt geworden war. Deshalb zogen sie den für 3.00 Uhr morgens vorgesehenen Beginn des Putsches auf 21.00 Uhr vor.“ (Aust u. Laabs; im Original keine Hervorhebungen)

On July 15, 2016, at 21:15, Major Murat Çelebioğlu creates a WhatsApp group with the name “Yurtta sulh”.

Der Name der Gruppe spricht deutlich dafür, dass die(se) Putschisten sich in der Tradition Attatürks sehen. Soll heißen, sie putschen, um den inneren Frieden wieder herzustellen. Die meisten in der Gruppe sind Stabsoffiziere. (Bezug zum Putsch von 1960)

„At 21:26, Major Mehmet Murat Çelebioğlu – Istanbuler Gruppe – gives the first instructions for military Action“

Dieser frühe Putschbeginn ist – für sich betrachtet – unbegreiflich. Erwartet würde ein Beginn zu nachtschlafender Zeit. (Und so war es ja auch gedacht; s.o.) Um 4 Uhr morgens wäre es schwierig geworden, die AKP-Aktivisten aus dem Schlaf zu reißen und auf die Straße zu befehlen, um die Demokratie zu retten…

„At 0:05, TRT TV news anchor Tijen Karaş is forced to read a declaration from the coup leaders, who call themselves the “Peace at Home Committee” (again, “Yurtta sulh”).“

Alle Aktionen, soweit bekannt, verliefen halbherzig. Statt (brutal durchgreifende) Eliteeinheiten agierten Milchbubis, Wehrdienstleistende zur Opferung auserkoren: Kurban olsun… (Lynchexzesse)

„Um Mitternacht [vor oder nach dem Verlesen der Deklaration??] wurde auch seine [Erdoğans] Maschine, die Gulfstream 4 mit der Kennung TC-ATA, von Izmir nach Dalaman befohlen. Der Jet hob um 00:18 Uhr in Izmir ab (Der Beweis…)“

„President Recep Tayyip Erdoğan addresses the nation on CNN Türk around 00:26, urging the Turkish citizens to “take the streets”. (Triebert)

Die (vorübergehende) Besetzung von CNN Türk ist ein Beispiel für die Halbherzigkeit der Operation. Statt den Sender mit Waffengewalt komplett abzuriegeln, wurden ein paar wenige Männeken abkommandiert, die (wie auf den Handymitschnitten ersichtlich) im Gebäudeinnern wie aufgescheuchte Hühner herumliefen und sich von den (per Handy hinzugerufenen) Schreiberlingen husch-husch überwältigen ließen…

Den Anruf bei CNN dürfte Erdoğan noch in Marmaris getätigt haben. (Woher wusste er, dass der Sender so rasch befreit wurde??) Danach fuhr er dann, so muss angenommen werden, seelenruhig, entspannt und unbehelligt (im Konvoi??) nach Izmir.

Erdoğans Jet „landete um 00:40 Uhr in Dalaman.“ (Der Beweis…)

1:40 Uhr (Lokalzeit): Erdoğans Maschine startet in Dalaman. (Der Beweis…)

Erdoğans „Flugzeug [wird] von zwei Kampffliegern begleitet. Doch nicht nur das. Zwei F-16, geflogen von Putschisten, hatten die Präsidentenmaschine abgefangen und hätten sie abschießen können. Sie taten es nicht.“ (Aust u. Laabs; im Original keine Hervorhebung) Warum??? Die Putschistengruppe scheint vom MIT infiltriert gewesen zu sein…

Sieht aus wie wenn Erdogan mit einem Regierungsjet von Mamaris nach Istanbul unterwegs ist. Die Maschine kreist schon seit einiger Zeit südlich vom Marmarameer.“ (Findet ein…)

3:19 Uhr (Lokalzeit): E. landet „1 Stunde und 37 Minuten“ später in Istanbul. (Der Beweis…)

Zu Erdoğans nächtlichen Flucht-/Triumph-Flug nach Istanbul merkt Alles Schall und Rauch an:

Das heisst, Erdogan war diese ganze Zeit [eineinhalb Stunden] schutzlos den Kampfjets der Putschisten ausgesetzt.

Oder war er es wirklich???

Die Nachrichtenagentur Reuters meldet:

Am Höhepunkt des türkischen Putsch, hatten Jets der Rebellen Erdogans Flugzeug im Fadenkreuz. Trotzdem konnte er weiter fliegen.

Warum sie die Maschine von Erdogan nicht abgeschossen haben, ist ein Rätsel„, schreibt Reuters.

Für mich ist das kein Rätsel, und für Euch, lieber Leser, auch nicht, nach diesen Fakten.

Den anschließenden Säuberungsexzessen zum Trotz:

„Ausgerechnet der MIT-Chef, der [laut offizieller Version!!] so offensichtlich versagt hat, blieb unbehelligt. […]

Warum Erdogan tatsächlich an Fidan festhält, ist eines der größten Rätsel seit dem Putsch.“ (Aust u. Laabs)

Aber nur, wenn man/frau alles glaubt, was Erdoğan erzählt…

Kritische Stimmen von Literaten (in der FAZ):

Moritz Rinke:

„Erdogan ist angeblich im Flugzeug, von Marmaris, wo man versucht habe, ihn mit Bomben zu töten, [?? Augenzeugenberichte, die dies bestätigen könnten, sind, soweit ich weiß, nicht bekannt…] auf dem Weg nach Istanbul. „Wie kann er fliegen, wenn die Luftwaffe geputscht hat?“, fragt der Vater. An diese Frage werde ich am nächsten Tag noch denken müssen, als ich auf Wikipedia über das Phänomen Selfcoup lese.“ (im Original keine Hervorhebung)

Zülfü Livanelli:

„Die ganze Aktion war plump und absurd. Kampfjets der Putschisten flogen über Ankara und Istanbul, und gegen 22 Uhr wurde die Bosporus-Brücke gesperrt, aber nur in einer Richtung. [!!] In der Vergangenheit fing es meist so an, dass in den frühen Morgenstunden [!!] die Regierung verhaftet wurde. [!!] Diesmal geschah nichts dergleichen. Der Staatspräsident, der Ministerpräsident und sämtliche Minister gaben Fernsehen die ganze Nacht über Statements ab [!!] und appellierten an die Bevölkerung, auf die Straßen zu gehen und zu protestieren. Plötzlich waren Muezzine zu hören, die von Minaretten Koranverse sprachen zum Widerstand gegen den Putsch aufriefen. Bald waren überall organisierte motorisierte Gruppen zu sehen, die Schlagstöcke, türkische Fahnen und Waffen dabeihatten und „Allahu akbar“ skandierten. Inmitten dieses Chaos [!!] landete Erdogan in seinem Präsidentenjet auf dem Istanbuler Flughafen und wandte sich an die Menge. Er hatte keine Angst vor den Kampfjets, die über der Stadt kreisten. [!!] Was für eine und durchsichtige Geschichte!“

 

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