Juli Zeh zu Merkels Diktum: „Wir schaffen das.“

Frog1(„Markus Lanz“ vom 8. September 2016)

Markus Lanz (greift in seiner Sendung Juli Zehs vorausgehende Aussagen auf und) plädiert (im Anschluss) für die Entdämonisierung der AfD:

„Ist unser Problem auch, dass wir nur noch in diesen Klischees, in diesen Stereotypen denken? Was dann auch dazu führt, dass wir zum Beispiel so eine Partei wie die AfD dämonisieren von morgens bis abends und damit erst groß machen.“

Darauf hin Juli Zeh:

„[…] Ich bin einfach 100-prozentig sicher, dass nicht 100 Prozent dieser Menschen vor acht Monaten oder zwölf entschieden haben, Ausländerfeinde zu werden. Sondern das sind genau dieselben Menschen, die in den letzten 20, 30, 50, 60 Jahren, wo sie etwas anderes gewählt haben, oder gar nicht, auch waren. Das waren sie, die ganze Zeit; und jetzt wählen sie AfD. Und das, finde ich, muss man bedenken. […] Was die nicht mochten, war, und jetzt kommt wieder dieser Satz, den man auch schon nicht mehr hören kann –: „Wir schaffen das.“ –, weil: Dieser Satz wurde gehört als: Wir machen das. Und wir machen das, bedeutet: Ihr werdet nicht gefragt; es wird auch nicht darüber geredet. Das ist ein Imperativ. Wir können das schon; wir kriegen das hin. Bleibt ihr mal schön sitzen zuhause und wählt in 2 Jahren wieder Merkel, und der Rest. Und da glaube ich, war der Bogen einfach überspannt. […]“

In dieser kurzen Dialog-Passage wird paradigmatisch deutlich, dass und inwiefern die von Salazar (in Sprache des Terrors) betonten Aspekte:

  • Entdämonisierung [bei Salazar: des IS, hier: der AfD und ihrer Klientel…] unter Bezug auf
  • Performanz (bei Salazar insbes. der Appellfunktion) von Sprechakten

wertrelevant sind.

Sie sind Teil aller sprachpragmatisch intendierter Lokutionen (John L. Austin) — z.B. in den Predigten des Kalifen Ibrahim zur Gründung, Aufrechterhaltung, Bestätigung, Vertiefung… einer Wertegemeinschaft: Der Gläubigen.— Doch sie sind bzw. sollten auch in den Sprachäußerungen/Diskurs(-kontext-)en relevant sein, die a priori analytisch, i.e. wertneutral/herrschaftsfrei intendiert sind. (Husserl: Akte qua Bewusstseinsakte können als solche nicht intentionsfrei sein.) Die Differenz besteht darin, ob und/oder inwiefern innerhalb von Diskursgemeinschaften dämonisiert/entdämonisiert wird/werden soll…

Im vorliegenden Fall sind es Zeh und Lanz, die insbes. eine Entdämonisierung in ihrer Diskussionsrunde anstreben (vs. das sonst übliche AfD-Bashing)…

Interessant ist hierbei/zudem Zehs transaktionsanalytische Deutung des Satzes: Wir schaffen das. ——
Merkel, so Zeh, entmündige mit diesem Satz (qua Imperativ) das Volk, indem sie es (als ‚Eltern-Ich‘: Mutti) wie Kinder, nicht wie Erwachsene anspricht. Und diese Kinder bzw. zu Kindern (‚Kinder-Ichs‘) degradierten Erwachsenen (‚Erwachsenen-Ichs‘) reagieren, indem sie AfD wählen: Ggf. nicht aus Zustimmung, sondern einzig aus Trotz
Salazar plädiert daher für Aufklärung (vs. Entmündigung)…

(siehe auch: Salazars ‚Sprache des Terrors‘)

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Salazars „Sprache des Terrors“ des IS

Frog1(Philippe-Joseph Salazar, »Kampf der Symbole«, Im Gespräch mit Elisabeth von Thadden, ZEIT, 1.9.2016, 37)

(Philippe-Joseph Salazar, Die Sprache des Terrors. Warum wir die Propaganda des IS verstehen müssen, um ihn bekämpfen zu können, München 2016)

Im Interview formuliert Philippe-Joseph Salazar sein Hauptanliegen, das Projekt der Aufklärung fortzusetzen, wie folgt:

„Wir füllen die Ideen der Aufklärung nicht mehr substantiell aus. […] Wir haben sie zu Managementvokabeln verkommen lassen. [… Das] heißt zuerst, dass gegenwärtig in einem Staat wie Frankreich die Aufklärung offenbar nicht mehr stattfinden soll. Wir Bürger werden nicht informiert. Die heiklen Quellen werden von uns ferngehalten, ob durch staatliche Zensurpolitik, Beschwichtigen der Medien [Lügenpresse…] oder die geheimdienstliche Auswahl von zugänglichen Informationen. Wir werden nicht ernst genommen. Aber wir sind der Souverän. Lesen wir endlich die Quellen des Gegners! Unsere französischen Schullehrer sind doch alle dafür ausgebildet, Texte zu analysieren: Warum machen wir die Texte und Videos des Kalifats nicht zur Schullektüre,

[statt den Schülern und Schülerinnen Islamunterricht durch Organisationen wie Ditib anzubieten, die das Geschäft des IS betreiben, indem sie Aussagen treffen wie: Es gibt nichts Schöneres als Märtyrer zu sein/werden!]

um sie zu entdämonisieren, zu falsifizieren, ihre Widersprüche, Irrtümer und Manipulationen aufzudecken? Das ist und bleibt die beste Waffe, über die wir verfügen: uns auf die Urteilskraft zu verlassen und sie in Anspruch zu nehmen. Die schlechtestmögliche Verteidigung des Landes hingegen besteht darin, die Bürger für dumm zu halten.“

Doch die Gutmensch-Eliten machen exakt dieses. Qua gegenseitige Selbstermächtigung und gegenseitiges Schulterklopfen dominieren sie (Funktionäre, Parteigänger und Sympathisanten von – in Deutschland – CDU, SPD, Die Linke, die Grünen; FAZ, SZ, ZEIT…) den öffentlichen Diskurs in Presse und Fernsehen. Sie bestimmen die Diskursregeln und tragen für deren Exekution Sorge. Daher ist es schwierig, ihnen, diesen manichäisch vor-eingestellten Bevormundern (Wir sind die Guten und ihr seid die schlechthin, scheiß Bösen. Seht es doch endlich ein und kuscht gefälligst!) nicht genehme Informationen überhaupt zu beschaffen. – Zum Glück gibt es ein noch (!) weit gehend nicht-domestiziertes Internet und ab und an Anti-Pauschalisten (wie Juli Zeh, Markus Lanz…). –
Zudem ist es schier unmöglich, sich in den Diskurs einzubringen, ohne a priori aus der Schlechtmensch-Perspektive heraus als zum kleinen, großen oder gar absoluten Arschloch auserkoren (gegen das als das höchste Gute – bonum, τἀγαθά (Platon) – a priori Vorgegebene uns ins Göttliche Entrückte: To άξιον εστί Willkommenskultur!, und zwar: Gemäß der Maxime: Kαθ᾽ ἑαυτόν „Keine Obergrenzen!“) an-argumentieren zu müssen.

Leider konnten sich die – insbesondere radikalenAufklärer (siehe Philipp Bloms großartiges Buch hierzu) nicht durchsetzen… Und nicht nur das: Die Aufklärung (qua perennierender Imperativ über alle Generationen hinweg) scheint obsolet.

Letztlich sind wir Zombie-Christen (Emmanuel Todd) in der Ambivalenz stehen geblieben: Da die Sklavenmoral des Christentums, in der wir sozialisiert wurden, in unserem Unbewussten weiterlebt (wie Todd am Fall Frankreich zeigt), sind wir immer noch höchst empfänglich für Unterwerfungsappelle. (In der Hinsicht stehen wir dem IS weit näher als all die Gutmenschen wahrhaben wollen.)

Also sprach (schon) Nietzsche (siehe Vorrede Zarathustra): Die Bereitschaft sich (unter dem Imperativ der Gutmenschen – welcher Couleur auch immer!) zu versklaven ist in unserm Zeitalter (noch? zu?) stark ausgeprägt; der Wille zur Gegenwehr ist schwach und wird diskursethisch (zu Tode) nihiliert.

Ein einziges Bild eines einzigen toten Buben (Ailan Kurdi) genügt —: Und schon verfängt die alles, in toto nihilierende Mitleidsethik (Schopenhauer contra Nietzsche).

Das ist der Vorlauf in den Tod des anderen, des Fremden – sei es anonym (à la Albert Camus) oder benamt (à la Kamel Daoud) – SOWIE des europäischen Menschen.

Ihr seid Verächter EURER Freiheit! Ihr, die ihr da ruft:

Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Halleluja / Halelu Yah / Alhamdulillah! (Psalm 118:26) –;

sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum —;
egal, ob auf Deutsch, Jüdisch oder Arabisch…;

und wer nicht mitmacht, für den gelte: Rübe ab! —: Sei es nun bloß im Diskurs, oder gar existenziell:
Das allein sei die zur Wahl stehende Differenz;

amen.

(siehe auch: J. Zeh zu Merkels ‚Wir schaffen das.‘)

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U. Greiner geht auf Distanz zu Merkels Flüchtlingspolitik

Frog1(Ulrich Greiner, Das war kein gutes Jahr, ZEIT, 1.9.2016, 2)

(Bernd Ulrich, Ein Jahr wie keines, ZEIT, 25.8.2016, 3)

Ja, was ist denn da passiert?? Kaum zu glauben, aber ZEIT-Journalist Ulrich Greiner geht auf Distanz zum Gutmenschsprech der etablierten Parteien und widerspricht seinem Kollegen Bernd Ulrich. Man/frau könnte meinen, er habe u.a. Salazar (Die Sprache des Terrors) gelesen…

Umbau Deutschlands zum Weltflüchtlingshotel     

    „Und dann ging ein Foto von ihr [Merkel] um die Welt. Das Selfie, aufgenommen im September 2015 in einer Berliner Unterkunft, zeigt sie lächelnd und Wange an Wange mit einem Flüchtling. Wer jetzt noch daran zweifelte, dass hierzulande die Verfolgten und Entrechteten allesamt willkommen seien, dem war nicht zu helfen.“ [… Folglich:]

    Es kam die Willkommenskultur. […] Der Hinweis, die Mehrzahl der Zuwanderer entstamme einer vormodernen, einer antisäkularen Kultur, die mit der unsrigen nur schwer vereinbar sei [s. Abbas Khider, Ohrfeige], erschien vielen allein schon deshalb als abwegig, weil es die Pegida-Demonstranten gewesen waren, die der Furcht vor einer Islamisierung ebenso aggressiv wie unbeholfen Ausdruck gegeben hatten. […]

    Sogar die zur Kontrolle berufenen Medien, einschließlich der Bild-Zeitung und der öffentlich-rechtlichen Sender, haben sich den von Angela Merkel ausgerufenen Humanitarismus, jedenfalls zu Beginn, weitgehend zu eigen gemacht sich beeilt, die moralisch unangreifbare Seite zu besetzen. […

Doch in einer der Tradition der (insbes. radikalen) Aufklärung verpflichteten Politik geht es nicht um Moral, sondern um Vernunft!! –: Das sollte man/frau meinen und erwarten dürfen… Greiner zumindest sieht das so:]

Es geht in der Flüchtlingsfrage nicht in erster Linie um Moral, sondern darum, eine Politik zu betreiben, die es erlaubt, das Richtige zu tun.“ (im Original kein Fettdruck)

Doch solange das Gutmenschsprech den Diskursrahmen setzt und uns die Emotions-Funktionäre von Pro Asyl, Amadeu Antonio Stiftung & Co manichäisch diktieren, was gut vs. falsch zu sein hat — übrigens: ähnlich der (fast) ausschließlich moralisch argumentierenden IS-Propaganda —, kann sich eine rational bestimmte Auseinandersetzung gar nicht (erst) entfalten.

Das ohnehin von links gesetzte Ideal des herrschaftsfreien Diskurses wurde schon immer von den pseudolinken Moralaposteln selbst, a priori und damit am nachhaltigsten desavouiert.

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