Was heißt radikal? – unter Beug auf Heidegger…

Martin Heidegger, Nietzsche, Erster Band, Klett-Cotta-Ausgabe, Stuttgart, 82020 (zitiert als I)

Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), Klostermann-Gesamtausgabe Bd. 65, Frankfurt a. M. 42014 (zitiert nach Abschn.)

Laura Beck, Change the World – Junge Weltretter, ttt, 4.10.2020

I

Das Wort radikal ist griechisch-römischen Ursprungs. Es geht zurück auf das griechische Wort ῥάδιξ, das im Lateinischen radix heißt – wobei im Schriftbild lediglich die griechischen durch lateinische Buchstaben ersetzt wurden. Im Deutschen sagen wir Rettich für eine Pflanze, die nur ein (einziges) Radix, eine Wurzelknolle, ist. Im Englischen heißt Rettich radish; im Französischen radis. In solch Sprachverwandtschaft kann man/frau unschwer unsere gemeinsame europäische Kultur des Pflanzens als in griechisch-römischem Erb-Boden gedeihend erkennen.

Auf Neugriechisch heißt radikal übrigens ριζικό, in lateinischen Buchstaben geschrieben Risiko (mit Betonung auf o) – ein Wort, das ebenfalls auf Altgriechisch ῥάδιξ zurückgeht. Alles Radikale wäre demnach Risiko behaftet. Und weiter: der Risikogesellschaft (Ulrich Beck), in der wir leben (weil wir uns nicht nur natürlichen, sondern auch selbst-geschaffenen Risiken aussetzen), wäre ein Bezug zur Radikalität immanent. Eine noch nicht gestellte Frage…

II

in seinem zweiten Hauptwerk „Beiträge zur Philosophie (vom Ereignis)“ zeigt Heidegger, warum Philosophie einen neuen, völlig anderen Anfang braucht. Aus seiner radikal neuen Perspektive, dass die abendländische Philosophie in die Seinsverlassenheit (die „der Grund der Seinsvergessenheit“ ist) geführt habe, (Abschn. 55, S. 114) plädiert er für einen Neuanfang, wobei dieser Neuanfang radikal anders sein müsse (um eine neue Geschichte, anders als die bisherige, begründen zu können). Die von der Metaphysik geprägte Philosophie von den Vorsokratikern bis heute sei zu verlassen. 2.500 Jahre abendländische Geistesgeschichte seien in der Philosophie Nietzsches, im Nihilismus, zu ihrem Ende gekommen,

„einzig durch Nietzsche [sei…] das Ende der abendländischen Metaphysik“ vollzogen worden. (Abschn. 85, S. 174) Es gelte „Nietzsche als das Ende der abendländischen Metaphysik [zu] begreifen“ (Abschn. 89, S. 176)

und zwar als Nihilismus:

„Nihilismus heißt: Die obersten Werte entwerten sich.“ (I, S. 23) – Für Heidegger ist der Nihilismus Nietzsches Resultat dessen, „was Nietzsche selbst früh als seine Aufgabe erkannte: der Umkehrung des Platonismus.“ (Abschn. 90, S. 182) –

Und da keine „geschichtliche Bewegung […] aus der Geschichte herausspringen und schlechthin von vorne anfangen“ kann, (eb.) braucht es „die neuen Philosophen“, die „nach Nietzsche [als] Versuchende“, nicht als (All-)Wissende!, „die obersten Werte setzen“. (I, S. 23)

In den 30er Jahren, in den Jahren des wachsenden, immer mächtiger werdenden und sich durchsetzenden Hitlerregimes erkannte/sagte er ex post, dass sein Werk „Sein und Zeit“ (veröffentlicht 1927) noch auf der Grundlage und im Fahrwasser der (alten) Philosophietradition geschrieben wurde und daher zwar radikal, aber nicht radikal genug für die anstehende/ausstehende, komplett neue Blickbahn gewesen sei. –

Übrigens kritisiert er in seinen „“Beiträgen“, seinem zweiten Hauptwerk, u.a. die nationalsozialistische Ideologie hinsichtlich der ihr zentralen Aspekte des Völkischen und des RiesenhaftTotalen pointiert scharf.

„der eigentliche Nihilismus ist: man will sich die Ziel-losigkeit nicht eingestehen. Und deshalb »hat« man plötzlich wieder »Ziele« und sei es nur, daß, was allenfalls ein Mittel für die Zielaufrichtung und Verfolgung sein kann, selbst zum Ziel hinaufgesteigert wird: das Volk z.B. Und deshalb ist eben da, wo man wieder Ziele zu haben glaubt, wo man wieder »glücklich« ist, wo man dazu übergeht, die bisher den »Meisten« verschlossenen »Kulturgüter« (Sinus und Seebadereisen) allem »Volke« gleichmäßig zugänglich zu machen, eben da, in dieser lärmenden »Erlebnis«-Trunkenboldigkeit, ist der größte Nihilismus“. (Abschn. 72, S. 139)

Das Hitlertum sieht er als Teil eines überkommenen-altmodischen, nicht zukunftsorientierten Denkens. Heideggers (freilich nur in der Abgeschiedenheit seiner Berghütte, etc. vorgetragener) „Punk“ basiert auf Nietzsches Nihilismus. Selbst der Nihilismus unserer Punk-Generationen (ab Mitte der siebziger Jahre) ist nur eine Nachwirkung der von Heidegger konstatierten Machenschaften in unseren Gesellschaften.

III

Als die Perser 480 v. Chr. Athen eroberten, verbrannten sie die Akropolis. Doch schon einige Tage später begann der dort mitverbrannte Olivenbaum – den dem Mythos zufolge die Göttin Athene den Athenern als Geschenk vermacht hatte – neue Blätter zu treiben. Das heißt: (Selbst verbrannte) Pflanzen können sich regenerieren. Will man/frau eine Pflanze radikal zerstören, so muss man/frau sie vollständig ausgraben und vor allem ihre Wurzeln (lat. radices) zerstören. Denn Pflanzen beginnen zu leben, indem sie Wurzeln bilden (lat. radices agere). Solange die Wurzeln einer Pflanze leben, lebt sie weiter. Sogar Zähne leben so lange, wie ihre Wurzeln da sind. –

Hierzu zwei Aspekte aus Heideggers Philosophie nach Sein und Zeit:

      • Zum einen: die Wurzelmetaphorik im Streit Erde vs. Welt unter Bezug auf das Verstehen:

Das „Verstehen [ist] als Entwurf ein geworfener […] gewurzelt in der Erde, aufragend in eine Welt.“ (Abschn. 138, S. 259)

Begriffe, die nicht entsprechend gegründet werden, nennt Heidegger folglich ‚entwurzelte Begriffe‘. So sind für ihn

„Erörterungen über essentia und existentia […] ein leeres Geschiebe entwurzelter Begriffe.“ (Abschn. 150, S. 272)

      • Zum andern: Heidegger betrachtet Zeit als etwas, das im Zeit-Raum stattfindet. Doch im Gegensatz zu Einstein verbleibt für ihn das Gefüge von Raum und Zeit unter dem Primat der Zeit; er verräumlicht die Zeit, aber er verzeitigt nicht (bzw. nur andeutungsweise) den Raum:

Das „Durchdenken der Zeit bringt sie in der Bezogenheit auf das Da des Da-seins mit der Räumlichkeit des Da-seins und somit mit dem Raum in wesentlichen Bezug […] Aber Zeit und Raum sind hier, an der gewöhnlichen Vorstellung von ihnen gemessen, ursprünglicher und vollends der Zeit-Raum, der keine Verkoppelung, sondern das ursprünglichere ihrer Zusammengehörigkeit.“ (Abschn. 95, S. 189)

und

„Die Zeit als entrückende-eröffnende ist in sich […] zugleich einräumend, sie schafft »Raum«. Dieser ist nicht gleichen Wesens mit ihr, aber ihr zugehörig, wie sie ihm.

Raum muss aber auch hier ursprünglich als Räumung begriffen sein (wie sich diese in der Räumlichkeit des Da-seins anzeigen, aber nicht voll ursprünglich begreifen läßt).“ (Abschn. 98, S. 192)

IV

in der aktuellen Politik sieht man/frau einen derart radikalen Ansatz in der Bewegung „Fridays for Future“. Es begann unspektakulär mit Protesten eines einzelnen kleinen, unscheinbaren, schüchternen Schulmädchens namens Greta Thunberg irgendwo in Europa. In wenigen Wochen erwuchs daraus eine weltweite Bewegung. Und noch immer eint all die Protestierenden einzig die ursprünglich nur von einer Einzelnen vorgetragene Forderung nach einem radikalen Wechsel der Klimapolitik. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel. Doch wie es erreicht werden könnte, wissen sie nicht. Die Umsetzung ihrer Forderung in Politik sehen sie nicht als ihre Aufgabe an. Wohl aber das Engagement in konkretem Handeln wie z.B. Müllbeseitigung, und Entwicklung technischer Lösungen (siehe ttt-Beitrag von Laura Beck). –

Auch Heidegger stellt eine radikale Forderung. Er sieht es als nötig an, dass die Philosophie neu anfange. Der wesentliche Grund hierfür sei die „Seinsverlassenheit, näher gebracht durch eine Besinnung auf die Weltverdüsterung und Erdzerstörung“. (Abschn. 56, S. 119) Er skizziert diesen anderen Anfang (u.a. in den Beiträgen) vor, aber er formuliert die entsprechende Philosophie nicht aus. Er sagt, dass dies die Aufgabe für die Zukünftigen sei. (siehe insbes. Abschn. 45, S. 96ff.) –

Im Gegensatz zu den bereits politisch etablierten „Grünen“ sind die „Fridays for Future“-Aktivisten (noch) keine Politiker/-innen. Doch vergessen wir nicht: auch die Grünen waren in ihren Anfängen – lange vor der Wiedervereinigung – eine radikale Bewegung: für Frieden, gegen Atomkraft, usw. Doch jetzt agieren sie als Partei – ähnlich wie andere Parteien. (Derzeit rangieren sie in Umfragen sogar als zweitstärkste Kraft nach der CDU/CSU.) –

Doch vergessen wir nicht, dass das Vergleichen, so Heidegger, bereits der erste Schritt sei, um das Verglichene anzugleichen, ja identisch zu machen:

„Alles Vergleichen ist aber im Wesen ein Gleichmachen, die Rückbeziehung auf ein Gleiches, das als solches gar nicht ins Wissen kommt, sondern jenes Selbstverständliche ausmacht, aus dem alles Erklären und Beziehen seine Klarheit nimmt.“ (Abschn. 76, S. 151) –

Siehe auch die Ansätze der Gleichschaltung, der totalen Konformität, etc. die das Hitler-Regime radikal umsetzte und dessen Machenschaften Heidegger als Zeitzeuge beobachtete und (zumindest) öffentlich nicht kritisierte (anfangs sogar als Neuanfang begrüßte):

„Die totale Weltanschauung muß sich der Eröffnung ihres Grundes und der Ergründung ihres Reiches ihres »Schaffens« verschließen; d. h. ihr Schaffen kann nie ins Wesen kommen und zum Über-sich-hinaus-schaffen werden, weil die totale Weltanschauung damit sich selbst infrage stellen müßte. Die Folge ist die: das Schaffen wird im vorhinein ersetzt durch den Betrieb. Die Wege und Wagnisse einstmaligen Schaffens werden in das Riesenhafte der Machenschaft eingerichtet, und dieses Machenschaftliche ist der Anschein der Lebendigkeit des Schöpferischen.“ (Abschn. 14, S. 40f.)

V

Eine andere Spielart von Radikalität besteht darin, zu den Wurzeln historisch/geschichtlich zurückzugehen/zurückzukehren und das Leben von neuem zu beginnen. Auslöser für diese Rückbewegung ist ebenfalls die Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Doch im Unterschied zu der vorab genannten Spielart geht es hier nicht darum, die (bisherige) Tradition zu verlassen, sondern sie zu desavouieren. –

Heidegger betont ausdrücklich, dass die neue Blickbahn (des anderen Anfangs) die bisherige (des ersten Anfangs) nicht abwehrte (sondern grundlege):

„die Ab-setzung des anderen Anfangs gegen den ersten [ist…] niemals »Verneinung« im gewöhnlichen Sinne der Abweisung und gar Herabsetzung.“ (Absch. 90, S. 178)

„Die Rede vom Ende der Metaphysik darf nicht zur Meinung verleiten, die Philosophie sei mit der »Metaphysik« fertig, im Gegenfall: diese muß ihr jetzt erst in ihrer Wesensunmöglichkeit zugespielt und die Philosophie selbst so in ihren anderen Anfang hinübergespielt werden.“ (Abschn. 85, S. 173) –

Ein Beispiel hierfür ist der Islamische Staat (IS). Seiner Ideologie zufolge entspreche der zur Zeit gelebte Islam nirgendwo der vom Propheten Mohammed geforderten Praxis. Die Geschichte des Islam sei eine Geschichte des Ab-/Verfalls. Es sei geboten, die islamische Bewegung neu zu beginnen. Vorbild für den Neuanfang ist das Leben, wie es Mohammed und sein Gefolge (einst) führten.

Doch die Rückkehr zu den Anfängen muss nicht Jahrhunderte an Geschichte voraussetzen. Die diversen Neonazi-Bewegungen sehen sich als Nachfolger des Hitler-Regimes, das 1945, vor weniger als einem Jahrhundert, unterging. –

Heidegger zufolge gründen alle radikalen Bewegungen im (von Nietzsche prophetisch angekündigten und vorformulierten) Nihilismus. Machtgeile Führer wie Trump, Putin, Erdoğan, Lukaschenko usw. sind nur möglich als Emporkömmlinge, Helden aus nihilistischem Umfeld. Sie sind Gefangene ihrer eigenen Machenschaften. Sie bedürfen ihrer Unterstützer, die sie möglichst zahlreich um sich scharen, um sich und ihnen die Macht und damit die Machenschaften als Erwerbsgrundlage (noch) möglichst lange zu erhalten. Ein Pakt auf Gegenseitigkeit…

(Boulevard-)Journalismus der Belanglosigkeit in der ZEIT

Frog1(Ulrich Ladurner, Simon und meine Kamera, ZEIT, 23. 12.2015, 3)

(Tina Hildebrandt, Die Wiedervereinigung, ZEIT, 23. 12.2015, 5)

Die letzten Zeilen dieses Artikels über (irgendeinen) Simon (2 Spalten à 30 Zeilen à ca. 55 Zeichen) von Ulrich Ladurner unter der Überschrift Es gab auch gute Nachrichten – in Großbuchstaben gesetzt! – auf Seite 3 lauten:

„Ich knipste nun […] Simon, und er streckte dabei lachend die Zunge raus, ein bisschen wie Albert Einstein, als wolle er mir sagen: »Na, habe ich dich erwischt? Dich und dein Herz?« [/] Hat er.“ (im Original keine Hervorhebungen)

Was, bitte, soll an dieser völlig belanglosen Szene die gute Nachricht sein? Gar so bedeutend, dass es im Rückblick zur Nachricht des Jahres 2015 taugt? Um es gar auf Seite 3 zu setzen??

Was, Herr Autor, haben wir Leser davon, über dieses Etwas informiert zu werden??

Warum, liebe Politik-Redaktion, bleibt der Rest der Seite leer?? Wie einfallslos; wie bedeutungslos muss Ihnen das Jahr 2015 vorgekommen sein…: Wie schade für Sie und uns Leser…

Eine weitere, angeblich höchst wichtige Nachricht, die uns ebenfalls unter der Überschrift Es gab auch gute Nachrichten – in Großbuchstaben gesetzt! – präsentiert wurde, war in derselben Ausgabe zwei Seiten weiter, ebenfalls im Politikteil, auf Seite 5 zu lesen: Die Wiedervereinigung.

Doch mit Politik hat Tina Hildebrandts Wiedervereinigungsgeschreibsel wahrlich nichts zu tun. Berichtet wird von (Untertitel:)

„Aufstieg, Fall und jetzt das Happy End: Christian und Bettina Wulff haben sich wieder getraut.“

Großartig.

Was sonst nur der Boulevardpresse eine Schlagzeile wert ist, die voller Freude die Weibergeschichten von irgendwelchen (Ex-)Politikern ausgraben (z.B. Rudolf Scharping & Kristina Pilati: Überraschende Scheidung nach 13 Ehe-Jahren!, BUNTE online, 27.1.2016), erhält nun also auch in der ZEIT Nachrichtencharakter. Prima!

Dem privaten Glück – „Das Happy End gönnen wir den beiden.“, lauten die eindeutig apolitischen Schlusszeilen – wird, husch husch, politische Brisanz angezaubert. Und das nur, weil der Bräutigam irgendwann mal kurzzeitig Bundespräsident war (aber nicht mehr ist, Gott sei Dank).

„Irgendwie haben sie [!] es also geschafft: das Amt hinter sich zu lassen“.

Wieso „sie“? Hatte Frau Wulff denn zu Zeiten ihres Präsidentengatten auch eine politische Funktion?? Seit wann ist Drumrumstehen, Danebenstehen, Entferntstehen einer Gattin denn ein Amt?? Und überhaupt:

Sie haben Recht, Frau Hildebrandt: Wulff ist nicht mehr Präsident. Er ist Geschichte. Er interessiert nicht mehr. Also warum langweilen sie uns mit dem Privatleben von ihm und seiner Tusnelda, äh Betina??… Wir haben wahrlich andere Sorgen…

Frog4

Jim Al-Khalilis Zweiteiler „Alles und Nichts“ (als DVD)

Frog1(Wie aus Nichts Alles wurde (DVD), Grünwald, 2015)

(Stefan Gillessen, Vom ganz Großen und ganz Kleinen, 8.10.2015)

 

Die DVD enthält 2 Filme: „Alles“ und „Nichts“.

Durch beide Erzählungen führt der Physiker Jim Al-Khalili von der University of Surrey (England).

Alles

Der erste Film will eine Antwort auf das Olbersche Paradoxon geben, nämlich auf die Frage: Warum ist es nachts dunkel? (Wenn doch die Sterne alles hell erleuchten…)

Der Begriff Alles wird im Film also (nur) astronomisch gefasst: Auf das Universum bezogen.

Die Erzählung beginnt mitten in der Wissenschaftsgeschichte: 1573 gehen John Dees (1527-1608) Parallaticae commentationis praxeosque nucleus quidam und Thomas Digges’ (1546-1595) Alae seu scalae mathematicae in Druck. Das Revolutionäre ihrer Auffassung liegt darin, dass sie als erste das bisherige Paradigma eines statisch, schalenartig konstruierten Himmelsgewölbes als Illusion verwarfen und stattdessen das Universum als ein dynamisches Geschehen dachten, in dem die Fixsterne nicht auf einer äußeren Schale fest montiert sind. Denn nur so sei erklärbar, dass der Nachthimmel dunkel sei.

1923 dann entdeckte Edwin Hubble (1889-1953) einen Stern, den Cepheiden V1, der nicht Teil unserer Galaxie, der Milchstraße sein konnte, sondern einer weiter entfernten Galaxie zugehörig sein musste (dem Andromeda-Nebel). So musste auch die bis dahin vorherrschende Idee, dass es nur eine einzige, unsere Galaxie (die Milchstraße) gebe, verworfen werden.

Später, 1929, legt Hubble eine Abhandlung vor, in der er ausgehend von Vesto Sliphers (1875-1969) Entdeckung der spektralen Rotverschiebung u.a. „die Relation zwischen Geschwindigkeit der Galaxien und deren Entfernungen“ bestimmt und die Expansion des Universums aufzeigt.

Wenn sich aber das Universum ausdehnt, und zwar immer schneller ausdehnt, dann muss es ursprünglich (aus logischen Erwägungen heraus) sehr klein gewesen sein: Ein Nichts. Die Entstehung erfolgte – dem derzeit vorherrschenden Paradigma entsprechend – aus einem Urknall, der (so die Hochrechnungen) vor 13,7 Milliarden Jahren stattgefunden „hat“/haben soll.

Nichts

Der zweite Film beginnt da, wo der erste aufhörte: Mit der Behauptung, dass Alles aus Nichts entstanden sei. Beide Filme zusammen intendieren, eine Theorie von allem zu komponieren.

Der Film Nichts beginnt daher mit Überlegungen zum Begriff Leere. Während Aristoteles (noch) die Ansicht vertreten habe, dass die Natur Leere verabscheue (horror vacui), zeigten Physiker nach ihm, dass das Universum weitgehend leer ist, aber nicht völlig leer…

Ausgangspunkt des Films sind die Experimente von Evangelista Torricelli (1608-1647) und – im Film übergangen – Vincenzo Viviani (1622-1703), die einen leeren Raum, ein Vakuum erzeugten, indem sie ein Rohr, das an einer Seite geschlossen war, mit Quecksilber füllten und es dann kopfüber in ein Quecksilberbad stellten. Daraufhin sank die Quecksilbersäule, und ein Vakuum entstand. [Unerwähnt bleibt: Das Sinken der Quecksilbersäule auf denselben Stand trotz Verwendung unterschiedlich geformter Röhren legte sodann den Schluss nahe, dass die Kraft, die das Quecksilber am vollständigen Auslaufen hinderte, von außen kommen musste:] Die Quecksilbersäule im Rohr war ein Maß für das Gewicht der Atmosphäre. Torricelli und Viviani wiesen nach, dass Luft ein Gewicht hat.

Insbesondere Blaise Pascals (1623-1662) darauf aufbauende weitere Experimente zeigten, dass der Luftdruck mit zunehmender Höhe abnimmt: Die Erde ist von einer Atmosphäre umschlossen, die mit zunehmender Höhe schnell dünner wird.

Jim Al-Khalili kommentiert:

„Das Nichts ist überall; […] das Vakuum ist der Grundzustand der Natur.“

In der Folgezeit wurden die Eigenschaften des Nichts näher untersucht. Ein Experiment zeigte, dass das Läuten einer Klingel im Vakuum nicht zu hören, aber zu sehen ist. Dies führte zu der Annahme, dass ein Lichtäther existiere. Das sollte ein Medium geringster Dichte sein, das den Raum lückenlos fülle und es (überhaupt erst) ermögliche, dass sich Lichtwellen und andere elektromagnetische Wellen ähnlich ausbreiteten wie Schallwellen in Luft. Die Experimente von Albert Abraham Michelson (1852-1931) und E.W. Morley zur Bestimmung der Relativität der Lichtgeschwindigkeit falsifizierten jedoch die Unterstellung. Die Experimente zeigten statt Divergenz vielmehr Identität und legten so die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nahe: Dass Licht immer mit identischer Geschwindigkeit unterwegs ist. Doch wenn dem so wäre, bräuchte Licht keinen Äther. Einstein erklärte 1905: Licht kann sich in einem komplett leeren Raum verbreiten.

Hinzu kommt, dass man in der Quantenwelt nie sicher sein kann, was passiert: Die Natur basiert auf Unwägbarkeit. In sehr kleinen Zeitintervallen in sehr kleinen Volumen im Vakuum könnten, so Heisenbergs Unschärferelation, Teilchen (Materie aus dem Nichts) sehr schnell entstehen, sofern sie auch sehr schnell wieder zerfielen. Ein Vakuum sei insofern voller Quantenfluktuationen; „es lebt“ (Al-Khalili).

In 1928 vereinte Paul Dirac Einsteins spezielle Relativitätstheorie mit den Gesetzen der Quantenmechanik. Er entdeckte, dass es im Vakuum nicht nur (virtuelle) Elektronen, sondern auch Anti-Elektronen geben müsse, die sich zu Energie annihilierten. Er erklärte, „wie Materie im Vakuum entstehen kann und sich ebenso schnell wieder auflöst.“ (Al-Khalili)

Der derzeit vorherrschenden Auffassung entsprechend ist das Universum aus einem Vakuum entstanden, das sehr schnell expandiert. Al-Khalili:

„Das heißt, dass die Gesetze der Quantenwelt mit zur Struktur des gesamten Kosmos beigetragen haben. […] Unser Universum ist eine Quantenwelt“.

Fazit:

Beide Filme zeichnen den Werdegang der Wissenschaft sowohl in Astronomie als auch in Vakuum-Forschung in sehr sehr groben Zügen nach. Insbesondere die mathematischen Bezüge sind leider (fast) komplett ausgeblendet. Formeln werden (z.B. im Fall Dirac, Einstein) zwar gezeigt, aber nicht ausführlich besprochen. Formeln und erst recht Zusammenhänge zwischen Formeln werden als so komplex angesehen, dass sie nicht besprochen werden.

Frog4