(Wie aus Nichts Alles wurde (DVD), Grünwald, 2015)
(Stefan Gillessen, Vom ganz Großen und ganz Kleinen, 8.10.2015)
Die DVD enthält 2 Filme: „Alles“ und „Nichts“.
Durch beide Erzählungen führt der Physiker Jim Al-Khalili von der University of Surrey (England).
Alles
Der erste Film will eine Antwort auf das Olbersche Paradoxon geben, nämlich auf die Frage: Warum ist es nachts dunkel? (Wenn doch die Sterne alles hell erleuchten…)
Der Begriff Alles wird im Film also (nur) astronomisch gefasst: Auf das Universum bezogen.
Die Erzählung beginnt mitten in der Wissenschaftsgeschichte: 1573 gehen John Dees (1527-1608) Parallaticae commentationis praxeosque nucleus quidam und Thomas Digges’ (1546-1595) Alae seu scalae mathematicae in Druck. Das Revolutionäre ihrer Auffassung liegt darin, dass sie als erste das bisherige Paradigma eines statisch, schalenartig konstruierten Himmelsgewölbes als Illusion verwarfen und stattdessen das Universum als ein dynamisches Geschehen dachten, in dem die Fixsterne nicht auf einer äußeren Schale fest montiert sind. Denn nur so sei erklärbar, dass der Nachthimmel dunkel sei.
1923 dann entdeckte Edwin Hubble (1889-1953) einen Stern, den Cepheiden V1, der nicht Teil unserer Galaxie, der Milchstraße sein konnte, sondern einer weiter entfernten Galaxie zugehörig sein musste (dem Andromeda-Nebel). So musste auch die bis dahin vorherrschende Idee, dass es nur eine einzige, unsere Galaxie (die Milchstraße) gebe, verworfen werden.
Später, 1929, legt Hubble eine Abhandlung vor, in der er ausgehend von Vesto Sliphers (1875-1969) Entdeckung der spektralen Rotverschiebung u.a. „die Relation zwischen Geschwindigkeit der Galaxien und deren Entfernungen“ bestimmt und die Expansion des Universums aufzeigt.
Wenn sich aber das Universum ausdehnt, und zwar immer schneller ausdehnt, dann muss es ursprünglich (aus logischen Erwägungen heraus) sehr klein gewesen sein: Ein Nichts. Die Entstehung erfolgte – dem derzeit vorherrschenden Paradigma entsprechend – aus einem Urknall, der (so die Hochrechnungen) vor 13,7 Milliarden Jahren stattgefunden „hat“/haben soll.
Nichts
Der zweite Film beginnt da, wo der erste aufhörte: Mit der Behauptung, dass Alles aus Nichts entstanden sei. Beide Filme zusammen intendieren, eine Theorie von allem zu komponieren.
Der Film Nichts beginnt daher mit Überlegungen zum Begriff Leere. Während Aristoteles (noch) die Ansicht vertreten habe, dass die Natur Leere verabscheue (horror vacui), zeigten Physiker nach ihm, dass das Universum weitgehend leer ist, aber nicht völlig leer…
Ausgangspunkt des Films sind die Experimente von Evangelista Torricelli (1608-1647) und – im Film übergangen – Vincenzo Viviani (1622-1703), die einen leeren Raum, ein Vakuum erzeugten, indem sie ein Rohr, das an einer Seite geschlossen war, mit Quecksilber füllten und es dann kopfüber in ein Quecksilberbad stellten. Daraufhin sank die Quecksilbersäule, und ein Vakuum entstand. [Unerwähnt bleibt: Das Sinken der Quecksilbersäule auf denselben Stand trotz Verwendung unterschiedlich geformter Röhren legte sodann den Schluss nahe, dass die Kraft, die das Quecksilber am vollständigen Auslaufen hinderte, von außen kommen musste:] Die Quecksilbersäule im Rohr war ein Maß für das Gewicht der Atmosphäre. Torricelli und Viviani wiesen nach, dass Luft ein Gewicht hat.
Insbesondere Blaise Pascals (1623-1662) darauf aufbauende weitere Experimente zeigten, dass der Luftdruck mit zunehmender Höhe abnimmt: Die Erde ist von einer Atmosphäre umschlossen, die mit zunehmender Höhe schnell dünner wird.
Jim Al-Khalili kommentiert:
„Das Nichts ist überall; […] das Vakuum ist der Grundzustand der Natur.“
In der Folgezeit wurden die Eigenschaften des Nichts näher untersucht. Ein Experiment zeigte, dass das Läuten einer Klingel im Vakuum nicht zu hören, aber zu sehen ist. Dies führte zu der Annahme, dass ein Lichtäther existiere. Das sollte ein Medium geringster Dichte sein, das den Raum lückenlos fülle und es (überhaupt erst) ermögliche, dass sich Lichtwellen und andere elektromagnetische Wellen ähnlich ausbreiteten wie Schallwellen in Luft. Die Experimente von Albert Abraham Michelson (1852-1931) und E.W. Morley zur Bestimmung der Relativität der Lichtgeschwindigkeit falsifizierten jedoch die Unterstellung. Die Experimente zeigten statt Divergenz vielmehr Identität und legten so die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nahe: Dass Licht immer mit identischer Geschwindigkeit unterwegs ist. Doch wenn dem so wäre, bräuchte Licht keinen Äther. Einstein erklärte 1905: Licht kann sich in einem komplett leeren Raum verbreiten.
Hinzu kommt, dass man in der Quantenwelt nie sicher sein kann, was passiert: Die Natur basiert auf Unwägbarkeit. In sehr kleinen Zeitintervallen in sehr kleinen Volumen im Vakuum könnten, so Heisenbergs Unschärferelation, Teilchen (Materie aus dem Nichts) sehr schnell entstehen, sofern sie auch sehr schnell wieder zerfielen. Ein Vakuum sei insofern voller Quantenfluktuationen; „es lebt“ (Al-Khalili).
In 1928 vereinte Paul Dirac Einsteins spezielle Relativitätstheorie mit den Gesetzen der Quantenmechanik. Er entdeckte, dass es im Vakuum nicht nur (virtuelle) Elektronen, sondern auch Anti-Elektronen geben müsse, die sich zu Energie annihilierten. Er erklärte, „wie Materie im Vakuum entstehen kann und sich ebenso schnell wieder auflöst.“ (Al-Khalili)
Der derzeit vorherrschenden Auffassung entsprechend ist das Universum aus einem Vakuum entstanden, das sehr schnell expandiert. Al-Khalili:
„Das heißt, dass die Gesetze der Quantenwelt mit zur Struktur des gesamten Kosmos beigetragen haben. […] Unser Universum ist eine Quantenwelt“.
Fazit:
Beide Filme zeichnen den Werdegang der Wissenschaft sowohl in Astronomie als auch in Vakuum-Forschung in sehr sehr groben Zügen nach. Insbesondere die mathematischen Bezüge sind leider (fast) komplett ausgeblendet. Formeln werden (z.B. im Fall Dirac, Einstein) zwar gezeigt, aber nicht ausführlich besprochen. Formeln und erst recht Zusammenhänge zwischen Formeln werden als so komplex angesehen, dass sie nicht besprochen werden.