Erdoǧans Pütschchen (Nachtrag)

 

(Erdoğans langer Arm. Türkische Spione in Deutschland?, maybrit illner, ZDF, 30.3.2017)

Erich Schmidt-Eenboom, Geheimdienstexperte, äußerste sich bei Maybrit Illner wie folgt:

„Nach dem angeblichen, dem Pseudo-Putsch in der Türkei, den die türkischen Nachrichtendienste […] Nach einer Analyse der CIA handelt es sich um einen Pseudo-Putsch, den Erdoǧan inszeniert hat, um einem potenziell echten Putsch zuvorzukommen.“

„Weil man den Türken natürlich auch nachweisen konnte, dass sie bis Sommer 2014 so etwas wie eine Dschihadisten-Autobahn in der Türkei hatten, das heißt, [dass sie] Kämpfer aus Libyen und dergleichen über die Türkei zum IS geschickt haben, vorsätzlich.“

 Erdoǧan „ist Neo-Osmanist. […] Er ist bestrebt, einen eurasischen, islamischen Staat bis 2023 einzuzführen, und das mit Gebietsansprüchen gegenüber Griechenland, Bulgarien und dem Nordirak, deutlich geäußert, ganz deutlich geäußert. Da gehen auch alle Analysen hin. Und ich warne davor, so zu tun, als wenn wir nur im Vorfeld des Referendums eine Verschärfung der Situation haben. Denn alle nachrichtendienstlichen Planungen für die Türkei sehen vor, den MIT [(Millî Istihbarat Teşkilâti)] mit den Nachrichtendiensten des Innenministeriums, dem der Gendarmerie und den beiden großen Abhörbehörden zu einer ganz großen Geheimdienstcommunity zusammenzuschmelzen. Und das ist dann das Instrument, um aus der Türkei endgültig einen demokratiefernen Staat zu basteln.“

„Alle westlichen Nachrichtendienste sehen nicht das geringste Indiz dafür [dass die Gülen-Bewegung in den Putsch involviert war…]. Und wenn Sie mal in die Nachrichtenlage der westlichen Dienste reinschauen, dann hat Herr Erdoǧan ja 2014 diesen wunderbaren Präsidentenpalast atombombensicher gebaut mit allen Schutzmaßnahmen gegen Abhören; und sie hören dann aus den westlichen Nachrichtendiensten, dass es trotzdem Abflüsse gegeben hat. Das heißt, die NSA und andere westliche Nachrichtendienste sind in der Lage, auch die geheimste Telekommunikation Erdoǧans zu knacken. Und die kommen dann zu dem Ergebnis: Ein vorgetäuschter Pseudo-Putsch.“

((siehe auch: Ein inszeniertes Pütschchen; Ermutigung zum PutschChronik eines Pütschchens

 

Erdoğan und der gestoppte MIT-Waffenkonvoi Richtung Syrien (19.1.2014)

Frog1(Özlem Topçu, Unterstützt die Türkei Islamisten?, ZEIT, 25.8.2016, 6)

(Üç savcı görevden alındı, mynet.com, 24.1.2014)

(MİT TIR’ları soruşturmasını yapan tutuklu 4 savcı Ankara’ya getirildi, mynet.com, 3.8.2015)

Özlem Topçu fasst die bislang bekannten Fakten wie folgt zusammen:

„Was bekannt ist: am 19. Januar 2014 stoppte die Gendarmerie im südtürkischen Adana, unweit der syrischen Grenze, drei Lkw. Der zuständige Staatsanwalt Aziz Takçıerteilte die Anweisung, die Lastwagen zu durchsuchen, doch die Männer, die den Konvoi begleiteten, widersetzten sich. Sie waren, wie sich herausstellte, Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT, weigerten sich aber, sich auszuweisen oder Dokumente über den Inhalt ihres Transports vorzuzeigen. Staatsanwalt Takçı ließ die Fahrzeuge dennoch öffnen und fand in sechs Containern: Mörser, Artilleriegeschosse, Maschinengewehrpatronen. [Hier das u.a. der Cumhuriyet zugespielte Video-Material dazu: Türkei unterstützt Anti-Assad Kämpfer: Whistleblower Chefredakteur Dündar] So berichtete er es etwa ein Jahr später der Zeitung Cumhuriyet in einem Interview. Takçı sagte auch, dass anschließend der Gouverneur der Provinz [Hüseyin Avni Coş] in Begleitung von 300-400 Sicherheitskräften an den Ort der Durchsuchung gekommen sei und erklärt habe, dass die Lkw dem MIT gehörten. Der damalige Premierminister Tayyip Erdoğan, so der Gouverneur weiter, habe ihn persönlich angerufen und gesagt: der Staatsanwalt soll die LKW weiterfahren lassen. […] Ende 2015, einige Wochen nachdem seine Partei, die AKP, die Parlamentswahl gewonnen hatte, äußerte sich Präsident Erdoğan erneut zu den Vorwürfen: »Einige sagen, ich hätte gesagt, da seien keine Waffen drin gewesen. Nun, und wenn schon?«

Tatsache ist [ferner]: Die mit dem Fall anfangs betrauten Staatsanwälte, Aziz Takçı und drei seiner Kollegen [Süleyman Bağrıyanık, Ahmet Karaca, Özcan Şişman], sitzen mittlerweile in Haft. Sie sind unter anderem wegen des Versuchs angeklagt, die Regierung zu stürzen. Auch die Journalisten Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet, und sein Ankara-Büroleiter Erdem Gül, die sich mit den Lkw des MIT befassten, wurden wegen Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt und verurteilt. Sie sind nur die prominentesten Beispiele.“

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Chronik eines Pütschchens

Frog1(Findet ein Militärputsch in der Türkei statt?, Alles Schall und Rauch (Blog), 15.7.2016)

(Der Beweis, der Putsch war inszeniert, Alles Schall und Rauch (Blog), 17.7.2016)

(Ein Putsch der keiner war und keine Führung hat, Alles Schall und Rauch (Blog), 19.7.2016)

(Erdogans Jet nach Istanbul war nicht getarnt, Alles Schall und Rauch (Blog), 22.7.2016)

(Zülfü Livaneli, Lauter Dilettanten?, FAZ, 18.7.2016, 11)

(Moritz Rinke, Eylem heißt Widerstand, FAZ, 18.7.2016, 11)

(Christian Triebert, “We’ve shot four people. Everything’s fine.” The Turkish Coup through the Eyes of its Plotters, bellingcat (online), 24.7.2016)

(Ex-Luftwaffenchef beschuldigt Gülen-Bewegung, ZEIT online, 18.7.2016)

(Stefan Aust u. Dirk Laabs, Erdogans seltsamer Freund, Welt am Sonntag, 31.7.2016, 10)

Den bislang bekannt gewordenen Daten entsprechend scheint es zwei (relativ) unabhängig von einander agierende Putschistengruppen gegeben zu haben: eine in Istanbul (deren Kommunikationsverlauf von Christian Triebert auf bellingcat nachgezeichnet ist) und eine in Ankara.

(Doch da es ja einen Oberverantwortlichen geben muss, wurde ein zuvor bereits entlassener General, Akın Öztürk, fern des operativen Geschäfts, (nachtragend) zum Sündenbock erklärt.

„Zuerst meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, der Ex-Luftwaffenchef Öztürk habe seine Beteiligung am Putsch gestanden, er hätte gegenüber Vernehmungsbeamten gesagt, er hätte „mit Absicht gehandelt, den Putsch zu inszenieren„. Interessante Wortwahl der Übersetzung… (Der Putsch, der…)

Öztürk bekannte sich zwar – trotz Prügel – unschuldig, beschuldigte aber seinerseits den, den Erdoğan ohnehin zum Meister alles Bösen auserkoren hatte. Wie praktisch…:

„Meinen Erfahrungen nach denke ich [Öztürk], dass die parallele Struktur (die des Predigers Fethullah Gülen) diesen militärischen Putschversuch durchgeführt hat. Aber ich kann nicht ermessen, wer innerhalb der Türkischen Streitkräfte diese Sache organisiert und realisiert hat. Was das betrifft, habe ich kein Wissen. Ich habe gegen diese Struktur sehr gekämpft.“ (zitiert nach ZEIT)

Der Geheimdienst wusste frühzeitig Bescheid!!

Geheimdienstchef Hakan Fidan „war frühzeitig über den geplanten Putsch informiert. Das geht aus einem Ablaufprotokoll westlicher Nachrichtendienste hervor, das der „Welt am Sonntag“ vorliegt.

Danach habe Hakan Fidan am 15. Juli um 16.00 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit Informationen über den geplanten Putsch erhalten. Um 16:30 Uhr sei der Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte, General Hulusi Akar darüber informiert worden.“ (Aust u. Laabs)

Interessant ist, dass Fidan Erdoğan (angeblich) nicht informierte:

„Die Regierung Erdogan hat inzwischen erklärt, dass der Präsident nicht von seinem Geheimdienst oder dessen Chef, sondern sozusagen privat von seinem Schwager über den Putschversuch informiert worden sei.“ (Aust u. Laabs)

Doch nun zur Chronik der Putschnacht:

„Den Putschisten blieb nicht verborgen, dass ihre Aktion bekannt geworden war. Deshalb zogen sie den für 3.00 Uhr morgens vorgesehenen Beginn des Putsches auf 21.00 Uhr vor.“ (Aust u. Laabs; im Original keine Hervorhebungen)

On July 15, 2016, at 21:15, Major Murat Çelebioğlu creates a WhatsApp group with the name “Yurtta sulh”.

Der Name der Gruppe spricht deutlich dafür, dass die(se) Putschisten sich in der Tradition Attatürks sehen. Soll heißen, sie putschen, um den inneren Frieden wieder herzustellen. Die meisten in der Gruppe sind Stabsoffiziere. (Bezug zum Putsch von 1960)

„At 21:26, Major Mehmet Murat Çelebioğlu – Istanbuler Gruppe – gives the first instructions for military Action“

Dieser frühe Putschbeginn ist – für sich betrachtet – unbegreiflich. Erwartet würde ein Beginn zu nachtschlafender Zeit. (Und so war es ja auch gedacht; s.o.) Um 4 Uhr morgens wäre es schwierig geworden, die AKP-Aktivisten aus dem Schlaf zu reißen und auf die Straße zu befehlen, um die Demokratie zu retten…

„At 0:05, TRT TV news anchor Tijen Karaş is forced to read a declaration from the coup leaders, who call themselves the “Peace at Home Committee” (again, “Yurtta sulh”).“

Alle Aktionen, soweit bekannt, verliefen halbherzig. Statt (brutal durchgreifende) Eliteeinheiten agierten Milchbubis, Wehrdienstleistende zur Opferung auserkoren: Kurban olsun… (Lynchexzesse)

„Um Mitternacht [vor oder nach dem Verlesen der Deklaration??] wurde auch seine [Erdoğans] Maschine, die Gulfstream 4 mit der Kennung TC-ATA, von Izmir nach Dalaman befohlen. Der Jet hob um 00:18 Uhr in Izmir ab (Der Beweis…)“

„President Recep Tayyip Erdoğan addresses the nation on CNN Türk around 00:26, urging the Turkish citizens to “take the streets”. (Triebert)

Die (vorübergehende) Besetzung von CNN Türk ist ein Beispiel für die Halbherzigkeit der Operation. Statt den Sender mit Waffengewalt komplett abzuriegeln, wurden ein paar wenige Männeken abkommandiert, die (wie auf den Handymitschnitten ersichtlich) im Gebäudeinnern wie aufgescheuchte Hühner herumliefen und sich von den (per Handy hinzugerufenen) Schreiberlingen husch-husch überwältigen ließen…

Den Anruf bei CNN dürfte Erdoğan noch in Marmaris getätigt haben. (Woher wusste er, dass der Sender so rasch befreit wurde??) Danach fuhr er dann, so muss angenommen werden, seelenruhig, entspannt und unbehelligt (im Konvoi??) nach Izmir.

Erdoğans Jet „landete um 00:40 Uhr in Dalaman.“ (Der Beweis…)

1:40 Uhr (Lokalzeit): Erdoğans Maschine startet in Dalaman. (Der Beweis…)

Erdoğans „Flugzeug [wird] von zwei Kampffliegern begleitet. Doch nicht nur das. Zwei F-16, geflogen von Putschisten, hatten die Präsidentenmaschine abgefangen und hätten sie abschießen können. Sie taten es nicht.“ (Aust u. Laabs; im Original keine Hervorhebung) Warum??? Die Putschistengruppe scheint vom MIT infiltriert gewesen zu sein…

Sieht aus wie wenn Erdogan mit einem Regierungsjet von Mamaris nach Istanbul unterwegs ist. Die Maschine kreist schon seit einiger Zeit südlich vom Marmarameer.“ (Findet ein…)

3:19 Uhr (Lokalzeit): E. landet „1 Stunde und 37 Minuten“ später in Istanbul. (Der Beweis…)

Zu Erdoğans nächtlichen Flucht-/Triumph-Flug nach Istanbul merkt Alles Schall und Rauch an:

Das heisst, Erdogan war diese ganze Zeit [eineinhalb Stunden] schutzlos den Kampfjets der Putschisten ausgesetzt.

Oder war er es wirklich???

Die Nachrichtenagentur Reuters meldet:

Am Höhepunkt des türkischen Putsch, hatten Jets der Rebellen Erdogans Flugzeug im Fadenkreuz. Trotzdem konnte er weiter fliegen.

Warum sie die Maschine von Erdogan nicht abgeschossen haben, ist ein Rätsel„, schreibt Reuters.

Für mich ist das kein Rätsel, und für Euch, lieber Leser, auch nicht, nach diesen Fakten.

Den anschließenden Säuberungsexzessen zum Trotz:

„Ausgerechnet der MIT-Chef, der [laut offizieller Version!!] so offensichtlich versagt hat, blieb unbehelligt. […]

Warum Erdogan tatsächlich an Fidan festhält, ist eines der größten Rätsel seit dem Putsch.“ (Aust u. Laabs)

Aber nur, wenn man/frau alles glaubt, was Erdoğan erzählt…

Kritische Stimmen von Literaten (in der FAZ):

Moritz Rinke:

„Erdogan ist angeblich im Flugzeug, von Marmaris, wo man versucht habe, ihn mit Bomben zu töten, [?? Augenzeugenberichte, die dies bestätigen könnten, sind, soweit ich weiß, nicht bekannt…] auf dem Weg nach Istanbul. „Wie kann er fliegen, wenn die Luftwaffe geputscht hat?“, fragt der Vater. An diese Frage werde ich am nächsten Tag noch denken müssen, als ich auf Wikipedia über das Phänomen Selfcoup lese.“ (im Original keine Hervorhebung)

Zülfü Livanelli:

„Die ganze Aktion war plump und absurd. Kampfjets der Putschisten flogen über Ankara und Istanbul, und gegen 22 Uhr wurde die Bosporus-Brücke gesperrt, aber nur in einer Richtung. [!!] In der Vergangenheit fing es meist so an, dass in den frühen Morgenstunden [!!] die Regierung verhaftet wurde. [!!] Diesmal geschah nichts dergleichen. Der Staatspräsident, der Ministerpräsident und sämtliche Minister gaben Fernsehen die ganze Nacht über Statements ab [!!] und appellierten an die Bevölkerung, auf die Straßen zu gehen und zu protestieren. Plötzlich waren Muezzine zu hören, die von Minaretten Koranverse sprachen zum Widerstand gegen den Putsch aufriefen. Bald waren überall organisierte motorisierte Gruppen zu sehen, die Schlagstöcke, türkische Fahnen und Waffen dabeihatten und „Allahu akbar“ skandierten. Inmitten dieses Chaos [!!] landete Erdogan in seinem Präsidentenjet auf dem Istanbuler Flughafen und wandte sich an die Menge. Er hatte keine Angst vor den Kampfjets, die über der Stadt kreisten. [!!] Was für eine und durchsichtige Geschichte!“

 

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Nachtrag zur Verhaftung von Can Dündar und Erdem Gül

Frog1(Halil Gülbeyaz, Das Ende der Pressefreiheit – Türkei verhaftet Top-Journalisten, ttt, 6.12.2015)

(Knut Rauchfuss, Private Killer im Regierungsauftrag, Zusammenarbeit von Staat und Organisiertem Verbrechen in der Türkei, 15.4.2003)

(Luise Sammann, Türkische Regierungskritiker fühlen sich von EU verraten, Deutschlandfunk, 18.12.2015)

(Thomas Seibert, Hier renoviert die Mafia, Der Tagesspiegel, 28.8.2004)

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Die ttt-Moderatorin verkündet: „Die EU bezahlt die Türkei, damit die Flüchtlinge dort bleiben und drückt gegenüber der Politik Erdoğans die Augen zu.“

In der Tat: Das Hofieren Erdoğans ist die größte, EU-weite Verarsche, die derzeit vor unser aller Augen, in aller Öffentlichkeit abläuft, inszeniert wird. Politik: Ein allseits schmutziges Geschäft. Und alle Kontrollgremien ducken sich weg. Keiner, der die Macht dazu hätte, gebietet Einhalt. Das ist das Ende der EU als „Wertegemeinschaft“.

Die Verhaftung auf Wusch des Staatspräsidenten

Anlass des ttt-Berichts ist die Verhaftung des Cumhuriyet-Chefredakteurs Can Dündar und seines Mitarbeiters Erdem Gül, des Leiters des Cumhuriyet-Büros in Ankara, am 26.11.2015. Seine Nelkenhochzeit verbrachte Dündar im Gefängnis.

Halil Gülbeyaz schrieb den Text zum ttt-Beitrag (als Video verfügbar bis zum 6. 6.2016). In keinem andern deutschsprachigen Bericht wurden die Hintergründe der Untersuchungshaft so detailliert entfaltet. Hier einige Auszüge:

„Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich ließ Strafanzeige gegen das Blatt [Cumhuriyet] und seinen Chefredakteur Dündar stellen, nachdem „Cumhuriyet“ Ende Mai Fotos und ein Video veröffentlicht hatte, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegen.

Daraufhin drohte Erdogan im TRT [1]-Fernsehen [am 31.5.2015], die Journalisten würden einen hohen Preis für die Veröffentlichung bezahlen und nicht ungestraft davonkommen.“

Wie im Putin-, so auch im Erdoğan-Reich. Doch für Putin gibt‘s Sanktionen, für Erdoğan Milliarden-Geschenke… Das ist ausgleichende EU-Gerechtigkeit: Was man dem ach so bösen Putin nimmt, muss man dem ach so lieben Erdoğan geben. Das hat er sich verdient…

Jetzt, nach der Wahl, in der die AKP die absolute Mehrheit errang (wobei in einem Wahlbezirk schon mal mehr Stimmen für die AKP gezählt wurden als überhaupt Stimmen abgegeben wurden; aber sonst ging wirklich alles mit rechten Dingen zu…) scheint Erdoğan der Tag der Rache günstig…

Grund der Verhaftung:

„Schon im Januar 2014 wurden drei Lkw nahe der syrisch-türkischen Grenze angehalten, beladen angeblich mit Babynahrung für Kriegsopfer. Wie zynisch. Denn bei der Durchsuchung entdeckten Sicherheitskräfte Kriegsmaterial für Islamisten: Hunderte von Raketen und Granaten. Hatte jemand den Kontrolleuren einen Tipp gegeben? Die Begleiter der Fracht, die festgenommen wurden, waren nicht irgendwelche Leute, sondern türkische Geheimdienstler.“

Der Bezug zu den Grauen Wölfen

Das weckt doch Erinnerungen an den Verkehrsunfall nahe Susurluk (in der Provinz Balıkesir, im Westen der Türkei) am 3.11.1996, gegen 19.30 Uhr. Im (selben) Unfallwagen (Mercedes 600) – unterwegs nach Istanbul – verstarben damals Hüseyin Kocadağ, der stellvertretende Polizeipräsident von Istanbul, Abdullah Çatlı, ein führendes Mitglied der Grauen Wölfe und steckbrieflich gesuchter Drogenhändler und Mörder sowie dessen Geliebte, die ehemalige Schönheitskönigin Gonca Us; Sedat Edip Bucak, Parlamentsabgeordneter der DYP, Großgrundbesitzer und Führer von mehreren Dorfschützereinheiten (gegen die PKK), überlebte schwerverletzt… Tja, wenn es gegen die böse, böse PKK geht, war man sich schon immer einig…

Doch zurück zur Jetzt-Zeit.

„“Präsident Erdogan wollte die Macht nicht teilen“, sagt Aydin Engin von der Tageszeitung „Cumhuriyet“. „Er hat sich Feinde gemacht, indem er alte Weggefährten abservierte. Die haben das Filmmaterial vom Waffentransport allen Medien zugespielt und wollten so einen Gegenangriff auf Erdogan starten. Aber nur die Tageszeitung Cumhuriyet war so mutig, dieser Story nachzugehen, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und sie zu veröffentlichen. Alle anderen Medien bekamen es mit der Angst zu tun.“

„Inzwischen sitzt [sic] nicht nur er [Dündar], sondern auch jene Sicherheitskräfte und Staatsanwälte in Haft, die die Kontrolle der Lkw angeordnet und durchgeführt hatten: wegen Spionage.“

„Es ist ein Skandal, dass der Präsident des Landes hier als Mitkläger auftritt“, sagt der Anwalt von Cumhuriyet, Tora Pekin. „Es gibt einen Gesetzesartikel, der das verbietet. Er besagt, dass niemand der Justiz Anweisungen, nicht einmal Ratschläge erteilen darf. Der Präsident hat aber gesagt: ‚Dündar wird zur Rechenschaft gezogen.‘ Somit hat er den Richtern und Staatsanwälten schon die Richtung vorgegeben. Das ist ein weiteres Zeichen dafür, dass das Land leider ganz schlimmen Zeiten entgegen geht.“

Der Tiefe Staat (derin devlet) feiert fröhliche Urständ

„Der Abgeordnete von der Oppositionspartei CHP Eren Erdem hat mehrere Dossiers über den sogenannten „Islamischen Staat“ und dessen Beziehung zur Türkei erarbeitet. Seine Entdeckungen sind alarmierend: „Eindeutiger geht es nicht. Ein Journalist muss ins Gefängnis, weil er seine Arbeit macht. Aber einen Islamisten, der auf Abhörprotokollen sogar ein Selbstmordattentat auf einer Friedensdemo der Opposition ankündigt, [gemeint ist der Anschlag in Ankara am 10.10.2015] den lässt man machen. Dann sagt unser Ministerpräsident, solange er sich nicht in die Luft gesprengt hätte, sei er ja unschuldig gewesen. Hier sehen wir, dass der Staat gegenüber dem IS sehr tolerant ist, ihn sogar beschützt.““

Einen Tag vor dem Anschlag in Ankara sprach Sedat Peker, ein den Grauen Wölfen nahestehender, verurteilter Mafiosi als Unterstützer Erdoğans auf einer AKP-Veranstaltung in Rize, der Stadt, aus der Erdoğan zufolge seine Familie stammen soll, die prophetischen Worte: „oluk oluk kan akacak“: Blut wird fließen in Strömen… (‘Oluk oluk kan akacak’)

Glauben Sie an Zufälle? Cumhuriyet und andere türkische oppositionelle Medien taten es nicht. (Deutsche Medien hingegen ignorierten das Vorkommnis unisono…)

Luise Sammann lässt in ihrem Beitrag Dilek Dündar, Can Dündars Ehefrau zu Wort kommen. Sie sagt:

„Wir haben die Verhaftung eigentlich erwartet.“ […] „Seit dem letzten AKP-Wahlsieg wussten wir, dass es jederzeit so weit sein kann. Schließlich hat der Präsident ihn öffentlich bedroht. Und in den Erdogan-nahen Medien stand damals, die CIA erledige Leute wie Can normalerweise durch einen plötzlichen Autounfall‘! Die Frage war also: Werden sie ihn umbringen oder nur verhaften. Wir lebten in ständiger Angst.“

Dass die Todesbedrohung durchaus real ist, zeigt die Ermordung von Uğur Mumcu, eines Cumhuriyet-Redakteurs, der mittels Autobombe (mit C4-Sprengstoff) in der Nähe seiner Wohnung am 24.1.1993 in die Luft gejagt wurde. Verantwortlich hierfür sei, nach Ansicht von Knut Rauchfuss, Alaattin Çakici, einer der bekanntesten Mafiakiller der Türkei, der früher – Sie ahnen es – für die Grauen Wölfe aktiv war. (Er wurde am 17.8.1998 im Ausland verhaftet.)

Einige unschöne Details hierzu hat Thomas Seibert:

„Ein berüchtigter Ganove lässt das Sommerhaus eines ranghohen Richters renovieren. Ein Spitzenbeamter des Geheimdienstes bittet denselben Richter, das Verfahren gegen den Ganoven in die Länge zu ziehen. Die Polizei hört alle Telefonate ab, lässt den Verbrecher aber trotzdem ins Ausland entkommen. [Susurluk lässt grüßen…] Was sich anhört wie ein schlechter Krimi, beschäftigt in der Türkei Staatsanwalt, Presse und Politik. Der Präsident des obersten Berufungsgerichts in Ankara, Eraslan Özkaya, steht im Zentrum eines Justizskandals, der die Grundfesten des türkischen Staates erschüttert.“

Und – wie könnte es anders sein – auch der Geheimdienst macht mit:

„Unterdessen bat ein ebenfalls wegen seiner Nähe zum Gangsterboss ins Gerede gekommener Spitzenmann des türkischen Geheimdienstes MIT den Richter, die Entscheidung im Fall des Mafioso aufzuschieben.“

Für den Mord an Mumcu verurteilt freilich wurden Islamisten der (realen oder nur fiktiven?) Organisationen Kudüs Ordusu (Armee von Jerusalem) und Tevhid-i Selam, die sich nicht rechtzeitig wegducken konnten. – Übrigens: Auch dem Schriftsteller Doğan Akhanlı wurde die Mitgliedschaft in einer Partei angedichtet, von der er zuvor nie gehört hatte… – Auf die Islamisten aufmerksam geworden sei man bei einer Hausdurchsuchung von Hüseyin Velioğlu, des Führers der kurdischen Hizbullah, im Januar 2000. Der Bereitschaft zu gestehen wurde jedoch durch Folter ein wenig nachgeholfen, so dass nicht klar ist, ob die Verurteilten wirklich schuldig sind…

Fazit:

Das spricht doch wohl alles für eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU, oder?

Was für vortrefflich integre Freunde Sie doch haben, Frau Merkel… Glückwunsch!

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