G. Hekmatjar: Erst Freiheitskämpfer, dann Dschihadist und jetzt Friedensgarant
(Erich Follath, Dieser nette Herr führt eine Armee von 20 000 Terroristen, Zeit, 17.11.2016, 6f)
Schlagzeile der Tagessschau vom 4.2.2017:
„UN-Sicherheitsrat nimmt afghanischen Milizenchef Hekmatjar von Terrorliste“ (Tagesschau, 4.2.2017)
Erich Follath, der Gulbuddin Hekmatjar zwei Mal interviewte, zeigt in seinem Artikel zum
„Comeback eines Massenmörders“
eindrucksvoll das Scheitern des Westens in Afghanistan und zugleich die Verlogenheit und das Fehlen jeglicher politischer Weitsicht/Vernunft im seit bereits nunmehr eineinhalb Jahrzehnten !! (mit für die betroffenen Staaten katastrophalen Folgen) dauernden „Krieg gegen den Terror“.
Der Artikel beginnt mit den jüngsten, unglaublichen und völlig – zumindest für naiv-dümmliche Westler – unerwarteten innenpolitischen Entwicklungen in Afghanistan: Dem Schulterschluss von Aschraf Ghani mit Hekmatjar:
„Aschraf Ghani, der demokratisch gewählte Präsident in seinem Palast zu Kabul, und Gulbuddin Hekmatjar, der Terroristenführer [von geschätzt 20.000 Mann] in seinem vermutlich nahe der Grenze zu Pakistan befindlichen Geheimsversteck, unterzeichnen feierlich einen Friedensvertrag.“
Unglaublich und völlig unerwartet kam diese Nachricht, wenn überhaupt, weil Hekmatjar, der
„»Schlächter von Kabul« […] vermutlich mehr afghanische Menschenleben auf dem Gewissen hat als jeder andere. Aber noch erstaunlicher als diese Rehabilitierung war die Reaktion darauf. Nur Human Rights Watch protestierte gegen das Abkommen und bezeichnete es als eine »Verhöhnung der Opfer«; Politiker in Afghanistan beglückwünschen den Präsidenten, auch die Staatsführer in Paris, London und Berlin zollten Beifall.
[und buckeln damit vor einem der radikalsten und brutalsten Islamisten: Der IS wird bekämpft, doch Hekmatjar wird gepriesen. Schizophrenie pur!!]
Und selbst die Obama-Regierung nannte die Übereinkunft einen »Meilenstein«, obwohl die Hisb-i-Islami auch zahlreiche Amerikaner getötet hat.“
Einst, als die Sowjetunion Afghanistan zehn Jahre lang besetzt hielt (von 1979 bis 1989), war dem Westen – insbesondere den USA – jeder willkommen, der bereit war, gegen die Besatzer zu kämpfen:
„wer gegen Moskau kämpfte, musste in den Augen westlicher Politiker ein Held sein. Ihr Held. Bei einem Deutschland-Trip warb Hekmatjar für seine Sache, Spitzenpolitiker aller Parteien empfingen [und hofierten] ihn. In US-Kongress wurden er und seine Mitstreiter gar mit den amerikanischen Gründervätern gleichgesetzt.“
Doch Hekmatjar verfolgte seine eigenen Ziele, nicht die des (explizit und exklusiv anti-sowjetisch agierenden) Westens. Ggf. ist er sogar der erste (und zugleich noch lebende !! all) der nach ihm kommenden islamistischen (Terroristen-)Führer:
„Und immer häufiger kooperierte er jetzt auch mit einem Mann aus Saudi-Arabien, der ihm an Radikalität in nichts nachstand und der zu ihm als älteren Lehrmeister aufblickte. Mit Osama bin Laden.“
Hekmatjars radikal-islamistische Vorstellungen stießen in ihrer Umsetzung, nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte (1989), jedoch selbst im Nachbarstaat Pakistan auf Ablehnung:
„Selbst die pakistanische Regierung, die Hekmatjar solange so bedingungslos unterstützt hatte, stieß sich zunehmend an seinem Extremismus.
In Islamabad begann man auf eine neue Kraft zu setzen: auf die in pakistanischen Medressen, islamischen Schulen, ausgebildeten »Koranschüler«, was übersetzt so viel heißt wie »Taliban«.“
Nachdem die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen hatten, war daher kein Platz mehr für Hekmatjar:
Hekmatjar „hatte den Machtkampf verloren, er musste fliehen. Und fand Unterschlupf im Iran.“
Mit Osama bin Laden hingegen hatten die Taliban kein Problem. Er konnte von Afghanistan aus, von den Taliban unbehelligt, operieren. Er und Hekmatjar blieben gleichwohl in Verbindung: Auch in seiner Exilzeit bezeichnete Hekmatjar bin Laden, laut Follath, als „»aufrechten Kämpfer und guten Kumpel«.“
Die weltpolitische Lage und Hekmatjars Schicksal änderten sich fundamental erst wieder nach dem verheerenden Anschlag von 9/11:
„Kaum drei Monate nach dem 11. September waren die Taliban von der Macht [in Afghanistan] vertrieben, die USA hatten in Kabul die dem Westen wohl gesinnte Regierung um Präsident Hamid Karsai installiert. Der Iran, an dem Sturz der Islamisten und an guten Beziehungen mit den Nachbarn interessiert, wies Hekmatjar an, Teheran zu verlassen.
Die Amerikaner versuchten jetzt, ihn [Hekmatjar] mit allen Mitteln auszuschalten.“
Doch das misslang.
„Später brüstete er [Hekmatjar] sich in einem Video aus dem Untergrund damit, den [sic] [al-]Kaida-Chef in einer dramatischen Aktion zur Flucht aus den Berghöhlen von Tora Bora verholfen zu haben.“
Doch erneut unterlag der nach Afghanistan zurückgekehrte Hekmatjar den
„besser formierten Taliban [. Sie] wurden zur dominierenden Kraft im Untergrund; sie kündigten ihr Zweckbündnis mit Hekmatyar auf.
Hekmatjar entschloss sich [daher] zu einer neuen Doppelstrategie: Er spaltete seine Gottespartei, in einen militärischen und in einen politischen Flügel. Seit Beginn dieses Jahrzehnts [bereits] können Hisb-i-Islami-Mitglieder fürs Parlament kandidieren und auch Regierungsämter annehmen“.
Es bleibt abzuwarten, ob aus dem „Schlächter von Kabul [… nun tatsächlich der] Schlichter von Kabul“ wird…
(alle Zitate von S. 7; im Original keine Hervorhebungen)